Sturmflut
Dienstag, 26. August 2014
Ausgelaugt.
Ich habe mein Schlaf- und Wachverhalten immer auf meine Veranlagung geschoben, mangels besserer Erklärung. Vollkommen Abstand nehmen davon werde ich auch nicht, weil ich der Auffassung bin, dass Menschen eben unterschiedlich sind und nicht jeder sich gleichermaßen dem Diktat von Wecker und Stechuhr beugen kann, ohne dass das irgendeinen Effekt hat.

Für mich ist jetzt in meiner ersten Urlaubswoche seit langem das größte Geschenk, ausschlafen zu können. Ich hasse dieses gnadenlose Piepen, dass mich jeden Morgen aus dem Schlaf reißt. Es bereitet mir beinahe körperliche Schmerzen. Zur Zeit schlafe ich nicht bis mittags, so wie es früher zu Studienzeiten war, sondern bin meistens zwischen acht und neun Uhr ausgeschlafen. Dann ist der Tag noch jung, und ich bin zufrieden.

Und die Ruhe. Nichts zu müssen ist gerade ganz ausgezeichnet. Es geht alles nach meinem eigenen Takt.

Natürlich ist es wichtig für mich, für diesen eigenen Takt Verständnis aufzubringen und ihn als Teil von mir selbst anzunehmen. Dennoch glaube ich, meine Schwierigkeiten beruhen nicht allein auf meinen Eigenheiten, die sich mit diversen Anforderungen nicht in Einklang bringen lassen.

Zur Zeit fühle ich mich dürr und trocken und wie aus Pergament, was sich erst seit dem letzten Wochenende ein kleines bisschen milderte. Meine Haut ist wie Sandpapier, meine Haare sind struppig und trocken, die Ringe unter meinen Augen sind dunkel und ich fühle mich beinahe jeden Tag, als hätte ich einen Marathon hinter mir.

Beim letzten Check-up bescheinigte mir die Frau Doktor ja vollkommene Gesundheit - nur warum lässt sich das mit meinen Empfindungen nicht in Einklang bringen?

Empfindungen überhaupt, so im Zusammenspiel mit Ärzten, sind eine heikle Sache. Mein Besuch bei der Endokrinologin brachte nämlich auch keine weiteren Resultate. Ich hatte die Schilddrüse im Verdacht, der mir aber nicht bestätigt wurde. Ich bin einfach nicht der Typ Mensch, der dann vorm Schreibtisch des Mediziners sitzt und ihm sagt, was er bitte für Werte abprüfen soll.

Eines hätte ich im Kontakt mit beiden Ärztinnen tunlichst vermeiden sollen: Meine zum damaligen Zeitpunkt noch aktuelle Arbeitslosigkeit zu erwähnen. Denn dann kam der lapidare Satz: "Ach, dann ist es doch vermutlich der Stress!" Es nützt dann auch nichts, weiterhin auf dem eigenen schlechten Befinden zu bestehen, man bekommt Yoga-Kurse und anderweitige Stressreduktion empfohlen, und das war's.

Ich muss mir Krankheit nicht selbst andichten, ich bin gern gesund. Aber die Diskrepanz zwischen meinem subjektiven Empfinden, dass da was ganz gewaltig schief hängt, und den unter bestimmten Voraussetzungen ermittelten Laborwerten ist für mich ein vollkommenes Unding. Bislang hat mich noch niemand als Hypochonder abgestempelt - dafür klage ich wohl auch zu wenig und gehe zu selten zum Arzt. Aber was ich täglich erlebe, ist für mich selbst schwer zu ignorieren, und ich weigere mich, es als normal zu betrachten.

Beispielsweise, dass mir in erklecklichem Maß die Haare ausgehen zur Zeit. Da hilft auch noch kein so schön formulierter Rat zur Haar- und Kopfhautpflege. Dass mich aus dem Spiegel ein so müdes Gesicht anschaut. Dass ich es einfach nicht schaffe, morgens aus dem Bett zu kommen und dann, wenn ich halb schlafend im Bad stehe, erst einmal eine Tasse Kaffee als Booster brauche. Ließe sich ja noch erklären, wenn ich die Nächte durchmachte. Ist aber nicht der Fall. Dass meine Hände stark zittern, wenn ich mich unter Beobachtung oder vor einer wichtigen Aufgabe befinde (was bereits mehrmals auch mein Abteilungsleiter bei der Arbeit bemerkte und anmerkte).

Was mir an den zu Rate gezogenen Ärztinnen fehlte, war die Bereitschaft, gemeinsam mit mir der Ursache meiner Beschwerden auf den Grund zu gehen. Da ist offenbar ein erhebliches Maß an Bequemlichkeit, und stimmt ja, Reden wird einem auch nicht so gut bezahlt wie Apparatemedizin. Fast vergessen.

Also recherchiert man selbst. Die Schilddrüse wäre eine logische, aber dennoch nicht zu hundert Prozent passende Erklärung gewesen. Jetzt habe ich einen Termin bei einem endokrinologischen Ärztezentrum. Allerdings erst im Januar, denn eher ging's nicht. Man hat die Auswahl zwischen Terminen bei mittelmäßig motivierten und qualifizierten Ärzten in der Nähe oder Fachleuten weiter weg, dann aber erst in einem halben Jahrzehnt.

Ich las dem Gatten die Liste der Symptome vor, die bei einer Nebennierenschwäche bzw. -insuffizienz vorliegen. Der meinte wie aus der Pistole geschossen: "Ja, das ist meine Frau!" Drauf gestoßen bin ich eher per Zufall, fand dann aber auch Hintergrundinfos dazu auf der Seite des besagten Ärztezentrums, zu dem ich ohnehin schon wegen des Schilddrüsenverdachts hätte gehen wollen. Da liegt also zumindest Klärung, wenn nicht gar Lösung in zeitlicher Erreichbarkeit.

Interessant an all dem ist, dass die Ursachen für diese Problematik im permanenten Dauerstress liegen können, der irgendwann die Nebennieren erschöpft und an einer regelrechten Tätigkeit hindern kann. Diese Erklärung ist die erste, die sinnvollerweise mal nicht Ursache und Wirkung verdreht. Meiner Auffassung nach sind auch Depressionen nicht durch eine Störung der Hirnchemie bedingt, sondern es verändert sich der gesamte Stoffwechsel als Anpassungsleistung an äußere Faktoren. Man kann einen Körper eben auch nicht ausquetschen wie eine Zitrone, ohne dabei wie auch immer geartete Auswirkungen auf der Rechnung zu haben.

Gut ist: Wenn es nur eine Nebennierenschwäche, keine Insuffizienz ist, dann ist das reversibel und ich habe tatsächlich eine Hoffnung auf mittel- bis langfristige Besserung. Dann wäre ich noch einmal mit einem blauen Auge davon gekommen.

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