Sturmflut
Donnerstag, 4. Dezember 2014
Zittern
Ich komme nach hause und betrete die Küche, und mich überkommt ein behagliches Gefühl, denn dort riecht es nach frisch gewaschener Wäsche. Dann stocken meine Gedanken. Wie kommt die Wäsche in die Küche? Der Gatte hat sie aufgehängt. Nachdem die Maschine gestern abend nicht mehr vor dem Schlafengehen fertig wurde, hatte ich Wäsche Wäsche sein lassen, mit dem Vorsatz, mich morgens darum zu kümmern.

Die Tatsache, dass jetzt der Wäscheständer in der Küche steht, ruft mir jäh ins Gedächtnis: Ich habe es nicht geschafft. Ich habe nicht daran gedacht. Im Gegenteil. Obwohl ich den Wecker noch einmal zehn Minuten früher gestellt hatte, war ich so verpeilt, dass ich nicht einmal pünktlich aus dem Haus gekommen bin.

Während der morgendlichen Routine kam ich mir - wie üblich - vor wie der letzte Hempel. Mein Bedürfnis, zuhause im Warmen zu bleiben kollidierte mit Zeitdruck. Meine Hände zitterten - wie üblich - so sehr, dass ich beinahe meine belegten Brote nicht fertig kriegte, und ich fühlte mich von vorn bis hinten einfach nur unfähig. Wie ein Krüppel, nicht in der Lage, die einfachsten Verrichtungen hinzukriegen, die andere mit Selbstverständlichkeit erledigen. Ich spürte - wie üblich - dass ich wütend auf mich wurde. Sehr wütend. Mich beschimpfte. Mich darüber ärgerte, so wütend zu werden.

Mir rutscht zur Zeit bemerkenswert schnell der Boden unter den Füßen weg. Auf dem Weg durchs Dunkel heute morgen und heute abend streikte mein Dynamo. Kein Licht, keine Sicherheit. Alle paar hundert Meter anhalten in dem Versuch, ihn doch wieder zum Funktionieren zu bringen. Ich heulte. Vielleicht gar nicht so schlecht, dass es dunkel war. Und dann, sobald ich die Haustür hinter mir ins Schloss gezogen hatte, heulte ich erst recht. Wie ein kleines Kind. Ich hasste mich für das Heulen. Der Wäscheständer in der Küche. Nicht mal das bekommst du hin!

Der Gatte hilft mir in der Situation, wo er nur kann. Ich hasse mich dafür, Hilfe zu brauchen. Das ist nicht sein Fehler. Kannst du das nicht allein? Warst nur wieder zu bequem! Er streicht mir morgens Margarine aufs Brot und füllt meine Wasserflasche. Du bist wie ein kleines Kind! Nichts kriegst du hin!

Das blanke Entsetzen macht sich in mir breit, wenn ich sehe, wie mich diese Denke im Griff hat. Es geht so leicht, so fürchterlich leicht, hart und fies und erbarmungslos und verurteilend mit mir selbst zu sein. Ein Wäscheständer. Meine Güte. Neulich mal bekam ich in einer ähnlichen Situation einen Wutanfall. Ich schrie "Das habe ich nicht verdient!" und meinte die bitteren, bösen Urteile, die aus meinem Innern auf mich einprasselten. Ich warf ein Kissen an die Wand und schrie und brüllte. Danach ging es mir besser.

Aber ich weiß so oft nicht sicher, ob ich es nicht doch verdient habe. Das sind die wirklich schlimmen Momente, die mich müde und mürbe machen. Der Kampf gegen die inneren Stimmen, die mich automatisch immer wieder abkanzeln, ist so mühsam. Es ist so viel leichter, gar nicht erst zu kämpfen. Sie ziehen alles in Zweifel, den kleinsten Erfolg, die zeitweilige Überzeugung, meine Sache gut zu machen, die zeitweilige Überzeugung, nicht alles gut machen zu müssen. Es bleibt kein Raum, die zu sein, die ich sein könnte - die ich eigentlich bin.

Es kotzt mich an. Ich fühle mich verloren, wie ein kleines Kind, mir ist entsetzlich kalt in all dem. Ich hätte gern Trost und hasse mich bereits wieder für den Wunsch, getröstet zu werden. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Das Gefühl, kein Anrecht zu haben. Auf gar nichts. Keine Gnade, keine Umarmung, keine Hilfe, keine menschliche Regung. Und die Hände zittern.

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