Sturmflut
Dienstag, 16. Dezember 2014
Das Bergsteiger-Kind
Heute nachmittag nach der Berufsschule traf ich mich mit dem Gatten im hiesigen Spielwarengeschäft, um Geschenke für die Kinder meiner Schwester zu besorgen. Ich war ein bisschen zu früh und schlenderte schon mal zwischen den Regalen hindurch, um zu sehen, ob etwas nettes für unsere Nichte dabei wäre. Für den Neffen waren schon zwei Lego-Straßenkreuzungen zurückgelegt.

Ich war entzückt vom geschlechtsgebundenen Angebot und verstand mal wieder nicht, wie man das Gender-Problem in Sachen Spielwaren ignorieren kann. Wir stehen jedes Mal wieder vor der Herausforderung, Spielsachen zu kaufen, die beiden Geschwistern Spaß machen und keines der Kinder auf irgendeine Verhaltensweise festlegt. Lillifee und Lego Friends fallen deswegen von vornherein unter den Tisch. (Nein, die Traute, dem fünfjährigen Neffen pinkifiziertes Spielzeug zu schenken, hatte ich bislang noch nicht. Kommt vielleicht aber noch.) Mit Blaulicht-Autos und Baggern bin ich irgendwie unverkrampfter.

Aber mich regte schon der Gedanke an unseren letzten Besuch in diesem Laden auf, als wir gefragt wurden, ob das Geschenk für einen Jungen oder ein Mädchen sei, damit man es in das passende Geschenkpapier wickeln könne. Es gibt also Jungs- und Mädchen-Geschenkpapier. Oder genauer: Das Mädchen-Geschenkpapier wäre für einen Jungen unschicklich gewesen. Andersherum ging noch.

Mir schwoll also schon wieder der Kamm, was auch nicht besser wurde, als ich in der Schreibwarenecke die Klebestifte entdeckte. Klebestifte. Mit Lillifee, schnörkeldekorierten Pferdeköpfen und bösen, zahnbewehrten T-Rexen. Klebestifte. Dreimal darf man raten, welche Variante für welches Geschlecht ist.

Nun, der Gatte und ich sind uns in dieser Sache sehr einig, und wir haben trotz aller Schwierigkeiten bislang konsequent verworfen, was uns zu sehr nach Rollenklischee roch. Zum Beispiel ein eigentlich schön gemachtes Malbuch, das sich als für Mädchen gedacht enttarnte, indem es eine ausmalbare Seite mit dem Titel "Dein Schminktisch" anbot. Nee, sorry! Nicht für eine Siebenjährige, und so klischeehaft schonmal gar nicht. Wie gesagt, vielleicht schaffe ich es ja, das Malbuch in vier Jahren dem Neffen zu schenken und mir die Reaktion meiner Schwester egal sein zu lassen. Für altersgerecht hielte ich besagten Schminktisch aber weder für ein siebenjähriges Mädchen noch für einen neunjährigen Jungen. Basta.

Das Ende vom Lied: Wir entschieden uns für ein Buch aus der recht schön gemachten "Wieso, weshalb, warum?"-Reihe, Titel "Wir entdecken die Berge". Die Idee hatte der Gatte, der sich erinnerte, dass meine Schwester mit ihrer Familie auch in diesem Jahr wieder in Südtirol im Urlaub war und das Buch also auch einen Teil des Erfahrungsschatzes meiner Nichte aufgreift. Wir brachten es also zur Kasse und fragten noch mal nach. Für im Herbst sieben Jahre gewordene Kinder geeignet?

"Ja," sagte die Verkäuferin, "wann genau wurde er jetzt noch mal eingeschult?"

Automatisch war das Kind ein "er". Sie war glaube ich etwas peinlich berührt, als ich korrigierte, das Kind sei ein Mädchen. Steigen Mädchen nicht auf Berge? Interessieren sie sich nur für Schminktische, Puppen mit kämmbaren Haaren und die wunderbare Welt der Prinzessinnen?

Diese eine, selbstverständlich vorgenommene und ungefragte Kategorisierung ärgert mich so maßlos. Da braucht man gar nicht mehr zu fragen, ob wir ein Gender-Problem haben oder nicht. Es erklärt sich von selbst. In den Bergen herumklettern und draußen sein gehört offenbar im Kopf der Spielwarenverkäuferin nicht zu den von Mädchen bevorzugten Thematiken.

Der Junge übrigens, so schrieb meine Schwester, sei ganz wild auf alles, was vier Räder und ein Blaulicht habe. Zufall, angesichts der Tatsache, dass sein Vater Rettungsdienst fährt? Ich glaube kaum. Ich hoffe, meine Nichte wird ein verrücktes Bergsteiger-Kind.

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