Sturmflut
Rotterdam Centraal Dagretour
Irgendwie sind wir immer beschäftigt mit Wenns und Danns und Plänen, die sich erfüllen können, wenn erst bestimmte Voraussetzungen gegeben sind. Bevor wir etwas haben oder tun können, das uns am Herzen liegt, müssen wir vor allem erst Zeit und Geld haben, es auch zu tun.

Sich darüber hinwegzusetzen, fühlte sich für mich reichlich eigenartig und fast schon ein bisschen fremd an, obwohl es eigentlich keine "große Sache" war. Am Mittwochmorgen in aller Herrgottsfrühe setzte ich mich in den Zug nach Rotterdam, um einen mir lieben Menschen zu treffen und endlich, endlich persönlich kennenzulernen. Sie lebt in der Schweiz und hatte in Belgien zu tun, und so schrie mir die Gelegenheit ins Gesicht: "Pack mich am Schopf! Sofort!!"

Jeder normale Mensch, der halbwegs beieinander ist, kann sich für zweieinhalb Stunden in den Zug setzen, um an einem wenig weit entfernten Ort jemanden zu treffen. Aber es war dennoch ein wunderbares Wagnis. Es war ein Tag, der sich anfühlte wie mindestens drei auf einmal. Nach so vielen Mails, Fotos und SMS war es etwas besonderes, sie in den Arm zu nehmen und ihre strahlenden Augen zu sehen, und ja, ein wenig aufgeregt war ich vorher auch. Es war spannend, nach Wochen und Wochen von Arbeit in immer der selben wintergrauen Kleinstadt und in den eigenen - zugegebenermaßen behaglichen - vier Wänden endlich mal etwas anderes zu sehen, auch wenn es in der Hauptsache Graffitys, Baustellen, vermatschte Kleingärten und verwehter Müll an der Bahntrasse war. Es war schön, einmal wieder eine andere Sprache zu sprechen und festzustellen, dass auch das geht und dass ich sogar recht gut Konversation machen kann.

Die Erwartungen an Rotterdam waren niedrig. Als ich das letzte Mal dort war, regnete es in Strömen, und ich hatte wenig Geld in der Tasche und viel Zeit herumzukriegen. Dieses Mal war es hell und bis auf ein paar schüchterne Schneeflocken trocken. Die Stadt war viel hübscher als vermutet und erinnert. Und ich war längst nicht so leutescheu wie beim letzten Mal Großstadt, auch wenn die Züge wegen der Krokusvakantie überfüllt waren.

Wir saßen in einem Restaurant nah der Erasmusbrug und schauten zusammen über die grauen Wellen und redeten und redeten. Ließen uns von der Tram durch die Gegend schaukeln. Redeten noch mehr, hätten ewig reden können. Am frühen Abend fuhren unsere Züge in unterschiedliche Richtungen davon, wir winkten einander und waren schließlich andere Menschen als zuvor.

Mich berauscht mein Vertrauen. Nicht nur die Tatsache, dass das Vertrauen in diesen Tag gerechtfertigt war und nicht enttäuscht wurde, weder von Menschen noch von Orten - was zugegebenermaßen eine schöne Erfahrung war. Sondern hauptsächlich, dass ich es einfach getan habe, dass es keine Wenns und Danns gab, die mich davon abhielten und dass ich spüren konnte: Ich kann... Fortgehen, zurückkommen, verabschieden, willkommen heißen und geheißen werden. Es reicht einzig und allein, dass ich es will. Der Dank dafür war ein Tag wie ein großes Geschenk, einfach so.

Die Musik dieses speziellen Tages:
Bløf - Mooie dag