Sturmflut
Dienstag, 1. März 2011
Wartezimmer
Ich hatte mir so fest vorgenommen, nicht über Herrn Guttenberg zu bloggen - irgendwie tun das eh schon alle, und es wurde auch schon alles gesagt.

Mein mit zu großem Schwung in Kontakt mit einer zerbrochenen Glasvase gebrachter Zeigefinger zwang mich denn aber heute in die Praxis meiner Hausärztin zwecks Begutachtung und Verbandswechsel. Im Wartezimmer wurde ich Zeugin einer amüsanten Begebenheit.

Ich hatte mich, mangels Interesse an "Gala", "Bunte" und "Wartezimmer TV", schweigend auf meine Füße starrend zurückgelehnt, als ein sympathisches älteres Ehepaar den Raum betrat. Voran schritt er, schon in den ersten Sekunden ganz der Herr im Haus, graumeliertes Haar, geputzte Schuhe, nach Feedback für sein Auftauchen um sich schauend. Dann folgte sie, adrett gekleidet mit aufgestelltem Hemdblusenkragen unter der farblich passenden Weste.

"Daisnochnplatzfrei!" grummelte der Herr und zeigte mit dem Finger auf den einzigen verbleibenden freien Stuhl im Zimmer - nachdem er sich hingesetzt hatte. Und sie, unverhüllt schnippisch, antwortete: "Ach, wie überaus großzügig von Dir, mein Junge!" Blieb indes aber doch stehen und starrte erst einmal aus dem Fenster, bis sie die große Thermoskanne entdeckte und eilfertig zuerst dem Herrn Gemahl und dann sich selbst einen Kaffee kredenzte (- er quittierte das dann mit einem "Manndasisheiß!"). Gewollt oder ungewollt - sämtliche anderen Anwesenden erhielten innerhalb dieser nur wenige Minuten dauernden Sequenz einen kleinen Einblick in den Charakter der Eheleute.

Dann herrschte kurzes Schweigen, ehe der Herr, den "Spiegel" zurück auf das Tischchen legend, konstatierte: "Na, der zu Guttenberg is' ja jetzt auch zurückgetreten. Schade!" Die beiden älteren Damen im Raum bestätigten das Bedauern mit heftigem Kopfnicken.

"Und das wegen so ein paar Mogeleien!" meinte der Herr. "Ehrlich, ich kenn' auch 'ne Juristin, die hab' ich erst neulich getroffen, die meint, 90% der Doktorarbeiten wären gemogelt oder abgeschrieben. Und überhaupt, in der Juristerei, da gibt es gar nicht mehr so viel zu forschen, die können gar nix Neues mehr schreiben da. Und wegen sowas wird der dann abgestraft! Da steckt bestimmt die Opposition dahinter!"

"Dabei war das so'n Guter!" meint eine der älteren Damen. "Fürde Soldaten war der gut!"

Ja, nicken alle Anwesenden, fürde Soldaten war der gut. Der Herr blickt mich von schräg rechts an, als wolle er wissen, ob ich denn gar nichts dazu zu sagen hätte, aber ich schweige, während ich mir Mühe gebe, nicht fürchterlich breit zu grinsen.

"Ja, dabei ist der so unermesslich reich," fährt der Experte fort, "der hätte es überhaupt gar nicht nötig, zu arbeiten. Und trotzdem hat der sich das angetan mit dem Verteidigungsministerium. Und so wird's ihm dann gedankt!"

Wieder ein Blick, und ich beiße mir auf die Lippen und versuche, gelangweilt auszusehen. Die beiden Damen haben dazu ebenfalls nichts weiter mehr zu sagen und schweigen deshalb. Ein paar Minuten Stille gehen ins Land.

"Willst Du noch Kaffee?" fragt die beflissene Gattin ihren Politik-Experten und macht sich dann mit der dünnen Plastiktasse um meine Beine herum erneut auf zur Thermoskanne. "Stopp, stopp. Wenig. Reicht!" bremst der Herr den Kaffeefluss, nimmt die Tasse entgegen und grantelt dann: "Das' aber 'n bisschen wenig wenig." "Hast Du doch so gewollt!" retourniert die Gemahlin.

Nach längerem Schweigen stellt der freundliche Herr fest, dass das Thema Guttenberg sich wohl in diesem Wartezimmer erschöpft hat.

"Naja," meint er, "über Politik soll man ja eigentlich auch nicht reden!"

Nee, denk ich mir, besser ist das!

Angesichts solcher Erlebnisse wird mir wieder mal klar, dass dieses Land die Leute verdient, von denen es regiert wird.

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