Sturmflut
Ja klar, wir können alle
nur einfach nicht kochen...
Am 18. Januar gab es im Bundestag eine "aktuelle Stunde" zum Antibiotikaeinsatz in der Tiermast. Ich geriet zufällig in die Übertragung auf Phoenix und verpasste leider den ersten Redebeitrag, der vom Grünen-Abgeordneten Friedrich Ostendorff stammte, ebenso wie denjenigen meiner Lieblingsministerin Ilse Aigner, die - wie es mir manchmal scheint - den Titel "Ministerin für Verbraucherschutz" nur durch einen merkwürdigen Fehlgriff erhalten hat. Um mein Wissensdefizit aufzufüllen und die nachfolgenden Redebeiträge in einen Gesamtzusammenhang einordnen zu können, steckte ich die Nase also nochmal in das online abrufbare Bundestagsprotokoll.

Ostendorff kritisierte, wie auch nicht anders zu erwarten, die hohe Besatzdichte in der Tiermast, die es erst erforderlich mache, in dem beobachteten großen Maßstab Antibiotika einzusetzen.

Auch in einem Fernsehbeitrag, den ich gestern sah, gab ein Tierarzt aus dem Raum Oldenburg (die Gegend ist bekannt für die fabrikmäßige "Tiererzeugung") freimütig zu, er kenne nur 10 bis 30 % der (in diesem konkreten Fall) Geflügel-Mastbetriebe, in denen nicht routinemäßig Antibiotika zum Einsatz kämen. Der Mäster kontaktiere ihn, sobald er "irgendwie das Gefühl habe, da sei etwas im Anzug" - so die vage Formulierung. Diese im Anzug befindliche, wie auch immer geartete Krankheit manifestiere sich beispielsweise an zurückgehendem Wasser- und Futterverbrauch der Tiere, der sich messen lasse. Und dann kämen eben Antibiotika ins Wasser.

Dass die Bildung von resistenten Keimen wie MRSA oder ESBL mit dieser erhöhten Gabe von Antibiotika zusammenhängt, haben Studien in den Niederlanden und Schweden nachgewiesen. In den Niederlanden glich man den genetischen Code der auf Geflügelfleisch gefundenen Bakterien ab mit dem derjenigen Bakterien, die auf Frühgeborenenstationen zu Komplikationen, teilweise auch zu Todesfällen geführt hatten - mit großer Übereinstimmung.

Ostendorffs Argumente sind also nicht unberechtigt, ebenso wie die Feststellung, dass sich die Notwendigkeit der Medikamentengabe in der Mast durch eine Verringerung der Besatzdichte reduzieren ließe. Damit brachte der Mann - selbst Ökolandwirt und daher natürlich von einigen als Lobbyist in eigener Sache betrachtet - eigentlich nur auf den Punkt, was man (die Öffentlichkeit mehr oder weniger) eh schon weiß.

Frau Aigner zitierte dann als Antwort darauf erst einmal die geltende Rechtslage. Präventiv dürften Antibiotika überhaupt nicht gegeben werden, und auch nicht als Wachstumsförderer. Worauf Herr Trittin dazwischen rief, dies sei tägliche Praxis, Frau Aigner solle doch mal nach Vechta fahren. Aigner schob die Verantwortung für die Kontrollen auf die Länder ab und machte deren Durchsetzung zugleich vom guten Willen der Länder abhängig. Das Schönste aber: "Wer verhindern will, dass ein krankes Tier behandelt wird, der veweigert Tierschutz!" Dieses Wort hat bemerkenswerte Ähnlichkeit mit dem von Massentierhaltern vorgebrachten Argument, man solle doch ihre Tiere mal untersuchen, sie seien in der Mehrheit viel gesünder als diejenigen von Ökohöfen. Kein Wunder, wenn sie randvoll mit Antibiotika sind. Ansonsten fielen sie ja auch einem Massensterben anheim, das für den Mäster schließlich keinerlei Profit mehr übrigließe. Hier sind also die Mäster in ganz eigener Sache tätig, ganz sicher aber nicht in Sachen Tierschutz. Dass Frau Aigner auf dieses Argument zurückgreift und damit ihre Kritiker als diejenigen abstempelt, die in Wirklichkeit dem Tier ans Wohlergehen wollten, ist ein billiges Manöver und zeigt, wie fehl sie eigentlich in ihrem Amt ist.

Die Vertreterin der FDP gab sich dann ganz im Parteisinne die Ehre und merkte an, dass die Kritik an der industrialisierten Tierproduktion überzogen sei. Da ging sie dann auch gleich zum Duzen über: "Was heißt denn eigentlich "industria"? Ist kein Lateiner unter Euch? "Industria" heißt Fleiß. Was ist gegen fleißige Betriebe einzuwenden? Überhaupt nichts. Fleiß ist eine Kardinaltugend. - Für Euch aber wohl nicht. Das mag so sein. Ihr lebt lieber vom Staat. Aber für die Unternehmer ist Fleiß eine ganz wichtige Tugend!"

Diese Äußerung ist so entlarvend, wie sie polemisch ist. Sie dokumentiert trefflich, wie sehr viel mehr es hier um das Unternehmerwohl geht (das auch noch hübsch als "tugendhaft" charakterisiert wird), als um das Wohl von Verbrauchern, Tieren und vollkommen Unbeteiligten. Ausbrüche wie diese sind eigentlich unwürdig für einen Parlamentarier, wundern mich aber nicht.

Der Vertreter der CDU/CSU Stier warf dann den Grünen erst einmal um die Ohren, wie unangemessen es sei, das Thema kurz vor der "Grünen Woche" (hinter diesem idyllisch wirkenden Titel verbirgt sie die weltgrößte Landwirtschaftsmesse) auf den Plan zu stellen. Er seinerseits freue sich auf die Grüne Woche. Glauben wir ihm sogar - schließlich sind Messen immer eine wunderbare Möglichkeit, Netzwerke zu knüpfen.

Den Knüller brachte dann allerdings Marlene Mortler (CDU/CSU): Sie warf mit Begriffen wie "Pseudokampagnen" und "Pseudowissenschaftler" um sich und wandte sich dann an Herrn Ostendorff direkt: "Lieber Friedich Ostendorff, Du bist heute deiner Rolle als Nestbeschmutzer deiner Kolleginnen und Kollegen in der Landwirtschaft wieder voll gerecht geworden." Sie begründet den Einsatz von Antibiotika mit christlichem Ethos, der einen verantwortungsvollen Umgang mit den Mitgeschöpfen darstelle. Resistente Keime gäbe es im Übrigen schon immer. Erst jüngst habe man in einer ägyptischen Mumie gegen Vancomyzin resistente Erreger festgestellt. Und schließlich und endlich: Sie sei Meisterin der ländlichen Hauswirtschaft und habe gelernt, wie wichtig die Hygiene in der Küche sei - da wisse man eben auch, dass man kein Carpaccio aus rohem Huhn zu essen habe.

Wie fern der Realität sind denn eigentlich diese eigenartigen Gestalten? Wir leben in einer seltsamen Welt, in der jemand öffentlich vor dem höchsten Gremium, das es in diesem Land gibt, wagt zu behaupten, die Haltungsformen, die wir unseren Mitgeschöpfen landesweit angedeihen lassen, umfassten einen verantwortungsvollen, vom christlichen Ethos geprägten Umgang. Ich weiß nicht, ob die Frau schon mal in einem stinkigen, tageslichtlosen Hähnchenmaststall in der norddeutschen Tiefebene gestanden hat, aber ich vermute, es ist wohl nicht der Fall. Denn sonst würde sie von Verantwortung mit den Mitgeschöpfen nicht in einem Atemzug mit dieser Haltungsform sprechen.

Mit ähnlicher Chuzpe wie Frau Aigner zu behaupten, es sei alles auf den Weg gebracht, was in dieser Lage an Maßnahmen vonnöten sei, und schließlich alles auf ein Küchenhygieneproblem zu reduzieren, ist nicht nur dreist und ignorant, sondern lässt mich auch am Geisteszustand dieser Person zweifeln. Klar, wir können halt alle einfach nicht kochen...

Ich erinnere mich noch gut an Frau Aigners Gesicht aus einem anderen Beitrag, als sie auf eine Veranstaltung des Brauereiverbandes geladen war und mit schöner, bayrisch-landbäurischer Manier das Hohelied auf das deutsche Bier verkündete - ganz im Interesse ihrer Gastgeber. Von der Person ist einfach nicht zu erwarten, dass sie eine von Lobbyvereinen unabhängige Politik zum Wohl der Menschen macht. Im Gegenteil, sie biedert sich an, wo sie nur kann. Da ist die Halbherzigkeit der von ihr auf den Weg gebrachten Maßnahmen nur logische Konsequenz.

Angesichts der Tatsache, dass zwei Drittel der Antibiotikamengen in der Landwirtschaft eingesetzt werden und nur ein Drittel in der Humanmedizin, ist der Rückzug auf die herrschende Gesetzeslage vermittels der Annahme "Was nicht sein darf, kann auch nicht sein", vollkommen inakzeptabel. Allein die schiere Menge muss Fragen aufwerfen. Zum Beispiel: Warum ist ein so großer Aufwand an Medikamenten nötig, wenn doch angeblich die Massenhaltungsformen unkritisch für die Tiergesundheit sind? Und wenn es tatsächlich nur um die Erkrankung einzelner Tiere geht, warum werden dann doch so viele Antibiotika eingesetzt? Nicht vielleicht doch als Wachstumsförderer, obwohl das verboten ist? Wenn sie tatsächlich glaubt, was sie sagt, dann ist Ilse Aigner ein blauäugiger Mensch. Wenn nicht, eine clevere Taktiererin. Ich tippe auf letzteres.

Natürlich hat es auch weiterhin jeder selbst in der Hand, aus welcher Haltung er sein Fleisch bezieht. Ich finde das Argument lustig, das Vertreter verschiedener Parteien in dieser Debatte auch gebracht haben: Man solle doch mal an die einkommensschwachen Schichten denken, die ja schließlich auch irgendwas essen müssten. So ein absoluter Unfug. Es geht hier nicht um das hochpreisige Entrecôte, sondern um die lustigen, panierten Hähnchenteile, die man den Kindern bloß noch in den Ofen schieben muss. So viel auch zum Thema Kochen. Es ist irgendwie immer Geld für Junk-Food übrig, sei es tütenweise überteuertes Schokoladenzeugs, Chips, Fertigpizzen oder sonst ein Rummel, nach deren Preis kein Mensch fragt. Aber das Fleisch, das soll möglichst billig sein.

Das eigentlich Ausschlaggebende sind die Ernährungsgewohnheiten. Nirgendwo wird Nahrung so billig produziert wie in Deutschland und nirgendwo wird so wenig Geld ausgegeben dafür. Aber Nachdenken macht halt Mühe. Ich empfinde es als mein persönliches Stück Lebensqualität, trotz eines Monatsgehaltes von rund 850 Euro netto 7 Euro für ein Hähnchenbrustfilet auszugeben. Ich esse dafür auch nicht jeden Tag Hähnchen.

Natürlich ist es vom Verhalten der Verbraucher abhängig, ob die Massentierhaltung ankommt oder nicht und somit, ob sie eine wirtschaftliche Grundlage hat. Dennoch fangen wir nun auch nicht plötzlich alle an zu hungern, wenn tatsächlich einmal andere Grundlagen für die Tierhaltung durchgedrückt würden, die die Landwirte zur Änderung ihrer Haltungsformen zwingen würden. Denn wir überproduzieren derart, dass wir nicht nur hierzulande billig kaufen können, sondern die ausländischen Lebensmittelmärkte gleich mit kaputt machen. Und das zu erfassen traue ich auch Frau Aigners Intellekt zu. Meint für mich: Es ist bei ihr wohl doch keine Frage des Könnens, sondern des Wollens.