Lesestoffbeschaffung
Am 29. Jul 2013 im Topic 'Deckschrubben'
Ich war schon immer eine Leseratte. Neben meinem Bett befindet sich ein Stapel noch zu lesender Bücher, und der ist eigentlich immer konstant gleich hoch. Wenn er kleiner würde, dann würde mir das Sorge bereiten, denn dann hieße die drängende Frage: "Was lese ich als Nächstes?" Es gibt Tage, an denen es bei ein paar Seiten vor dem Schlafengehen bleibt, manchmal auch nur bei ein paar Sätzen. Aber ganz ohne geht es nie.
Dabei war ich nie eine ausgesprochene Freundin von Klassikern. Im Deutsch-Leistungskurs haben wir irgendwie alles sorgfältig umgangen, das andere Klassen und Kurse standardmäßig zu lesen hatten. Mit Lessing, Schiller und Goethe bin ich bis heute unvertraut, den Faust habe ich verdrängt und im Gedächtnis blieb mir nur Fontane - vermutlich, weil ich "Effi Briest" bereits las, bevor wir das Werk in der Schule sezieren mussten.
Es ist im Grunde erstaunlich, dass mir unser eigenartiger Deutschlehrer das Lesen nicht verleiden konnte. Bereits als Mädchen habe ich angestrengt gelauscht und beim kleinsten Geräusch, das im Treppenhaus zu hören war, schnell das Licht ausgemacht. Meine Bücher versteckte ich zum Teil im Bettkasten, weil meine Eltern über alles, was ich las, ein Urteil abgaben. Insbesondere dann, wenn es sich um Pferdebücher oder Teenie-Schnulzen handelte und nicht um etwas Höherwertiges. Dem wusste ich mich zu entziehen. Besonders tat es mir William Goldings "Herr der Fliegen" an mit seiner breiten Palette an Charakteren und dem mystischen Touch, den die Handlung später erhält. Meine Taschenbuchausgabe ist inzwischen reichlich zerfleddert, hat geknickte Ecken und einen abgestoßenen Rücken, aber das Buch gehört zu denjenigen, die ich niemals abgeben würde.
Beim Stöbern in Herrn Giardinos Zitaten-Liste stieß ich auf diesen "offenen Brief" über die Veränderung der Buchläden. Obwohl meine Hauptquelle für Bücher meist Freunde oder unsere äußerst gut sortierte Bücherei sind, kann ich nachvollziehen, was Stefan Möller schreibt. Auch in meiner Stadt hat der Buchhandel gelitten, es gibt von früher drei Buchläden nur noch einen, ein weiterer ist hinzugekommen, und natürlich ist da noch der obligatorische "Weltbild"-Shop, den ich persönlich aber kaum als Buchladen bezeichnen mag. Den Niedergang der wirklich guten Buchläden habe ich ziemlich deutlich mitbekommen, denn meine Schwiegermutter arbeitete lange Zeit in einem der örtlichen Geschäfte, das spezialisiert war auf Romane, Schulbücher und Schreibwaren.
Derjenige Buchladen, der bis heute noch besteht, bot früher schwerpunktmäßig Kinderbücher und war darin absolut sattelfest. Er hält sich bis heute zäh und wacker, was mit daran liegt, dass die Betreiberin es verstanden hat, eine gewisse Arroganz dem profanen Publikum gegenüber abzulegen. Der Gatte liest gern Science Fiction. Wenn er früher mit dieser Aufgabenstellung den betreffenden Laden betrat, erntete er meist ein recht herablassendes "Sowas führen wir nicht!" Inzwischen gibt es in dieser Buchhandlung einen jungen, bezopften Mitarbeiter, der Bescheid weiß, Empfehlungen geben kann und mit dem sich der Gatte gern über Neuerscheinungen unterhält. Kunde gewonnen statt vergrault, ein echter Pluspunkt. Und gern nehmen wir beide auch den Bestellservice in Anspruch, der schnell und unkompliziert funktioniert und dem Online-Bücherriesen in absolut gar nichts nachsteht. Im Gegenteil, als ich Karten für unsere Weserbergland-Wanderung benötigte, waren die im Laden erheblich unkomplizierter zu kriegen als im Internet.
Dieser Laden ist aber auch eher die Ausnahme. Die Betreiberin organisiert Lesungen und kulturelle Veranstaltungen, arbeitet eng mit der Bücherei zusammen und versteht etwas von ihrer Profession. Natürlich haben sich auch hier die Non-Book-Artikel eingeschlichen, von denen Stefan Möller schreibt. Auf der Verkaufstheke stehen Lesezeichen, kleine Schokoladetäfelchen, Briefbeschwerer, Kärtchen und Schlüsselanhänger, und ab und an habe auch ich durchaus etwas übrig für diesen Killefitt. Aber das Geschäft ist damit nicht überladen, und zum Glück würde man die "Shades of Grey"-Reihe und in deren Wirbelschleppe entstandene Fan-Fiction-Softporno-Bücher in dieser Buchhandlung vergeblich suchen. Der andere Laden dagegen hat ziemlich viel Ratgeber-Literatur à la Wie Sie Ihr Kind dazu bringen, mit drei Jahren sieben Sprachen zu beherrschen und Basische Ernährung leichtgemacht, Wörterbücher und vor allem viele, viele kleine Geschenkbüchlein (für die Jungfrau, den Widder und den Steinbock). Vor der Tür steht eine große Kiste mit reduzierten Wandkalendern des laufenden Jahres, auf den Titelbildern Kätzchen und Motorräder.
Was mir im Buchladen meines Vertrauens hingegen fehlt, ist eine größere Abteilung für englischsprachige Bücher. Zu deren Gunsten könnte man meiner Meinung nach gut und gerne auf einige Exemplare der Sinnsprüche- und Kirchenkalender-Ecke verzichten. Aber nun gut, danach fragt wohl wirklich die Kundschaft nicht in unserer kleinen Stadt. Wenn ich sie bestelle, bekomme ich auch diese Bücher innerhalb kurzer Zeit.
Trotz meiner Schwäche fürs Lesen gehöre ich aber nicht unbedingt zu den Stammkunden dieses durchaus qualitativ hochwertigen Buchladens am Ort. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, bei meinen Einkäufen den gut sortierten Einzelhandel zu unterstützen. Aber wenn man mich fragte, was ich denn eigentlich lese, was ich suche, dann könnte ich darauf gar keine handfeste Antwort geben. Ich bevorzuge kein Genre, entweder versteht es ein Autor, mich auf den ersten Seiten zu fesseln, oder er versteht es nicht.
Zur Zeit lese ich - profaner geht es in den Augen mancher sicherlich kaum - erneut die Harry-Potter-Bände, die eine wunderbare Lektüre für diese warmen Sommertage abgeben. Ich mag sie noch immer, die klassische Heldengeschichte von dem Waisenkind-Außenseiter, der plötzlich feststellt, dass nichts so ist, wie es scheint. Ich mag die Vorstellung, neben unserer könnte es noch eine andere Welt geben, in der mehr möglich ist. Zugleich sind die Bücher so menschlich, mit einer Prise Coming-of-age, und Rowlings Ideen tiefsinnig und phantasievoll gleichermaßen. Mich fasziniert das dauerhaft. Allerdings habe ich mir auch hier vorbehalten, die Bücher im Original zu lesen. In der Übersetzung verliert sich einfach zu viel Wortwitz und Eigenart.
Was das betrifft, bin ich also gerade ziemlich Mainstream. In meinem Wartestapel für die Post-Potter-Zeit liegen ein Sachbuch über Kriminalität und Richard Fords "Canada" im Original, worauf ich mich sehr freue. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Freundin I. gab mir vor langer Zeit einmal die Empfehlung, Stewart O'Nan zu lesen, was der beste Tipp seit langem war. Ich habe inzwischen beinahe alles von O'Nan gelesen und bin überaus fasziniert von seiner Sprache und den meist eher leisen Szenarien, die er um einschneidende Ereignisse herum erschafft (was ihm - ein Kompliment eigentlich - bei manchem Amazon-Rezensenten das Urteil eintrug, in seinen Büchern passiere ja überhaupt nichts).
Weil ich mich auf I.s literarische Ratschläge verlassen kann, brauche ich selten das Gespräch im Buchladen. Aber wenn ich sie nicht hätte oder wir nicht denselben Geschmack in Sachen Bücher teilten, dann wäre das genau das, was ich von einem fähigen Buchhändler erwarte: Dass er mir anhand von einigen Eckdaten Lektüre empfehlen kann, die meinen Geschmack trifft. Was natürlich voraussetzt, dass der Buchhändler selber liest. Zumindest Rezensionen, bestenfalls aber auch Bücher. Dass er sich auskennt in den verschiedenen Genres und etwas darüber sagen kann. Dass er den einen oder anderen Geheimtipp Werke und Autoren betreffend von sich geben kann, der neue Perspektiven erschließt.
Da käme der Online-Riese nicht mit. Während ich überhaupt kein schlechtes Gewissen habe, dort CDs zu bestellen, weil es auch hier am Ort lediglich einen Media-Markt gibt, der noch dazu eine grauenhaft schlechte Auswahl hat, halte ich mich Bücher betreffend dort heraus. Die Rezensionen der Kunden dort sind ohnehin eine schiere Katastrophe. Entweder, sie spoilern so gnadenlos, dass man das Buch nicht mehr zu lesen braucht, indem sie in Grundschulmanier die Handlung nacherzählen und letztlich als Fazit "Ich fand das Buch blöd!" hinzufügen, oder sie verreißen Titel, weil sie sie inhaltlich einfach nicht verstehen, oder, oder, oder... Allein die Tatsache, dass sich dort für solche Bewertungen langsam aber sicher der Terminus "Rezession" eingeschlichen hat, spricht für sich, führt aber immer wieder dazu, dass sich mir die Zehennägel hochbiegen.
Der stationäre Buchhandel ist also mitnichten tot, und manche, wenn auch längst nicht alle, Buchhändler verstehen es, mit Qualität zu überzeugen. Dass die weniger werden, ist schmerzhaft und bedauerlich. Da bin ich mir mit Stefan Möller einig. Dennoch würde ich nicht gleich jeden verurteilen, der gern sogenannte historische Wanderhuren- und Fugger-Romane, Krimis oder gar die unsäglichen "Shades-of-Grey"-Bücher liest. Sich über den Mainstream zu erheben ist, wie ich bei unserem besagten heimischen Buchladen erleben durfte, nämlich für viele Kunden auch ein Hinderungsgrund, einen Laden zu betreten. Wenn man das Gefühl hat, schräg angeschaut zu werden, nur weil man mit der sogenannten hohen oder "E-Literatur" nichts am Hut hat, dazu nie einen Zugang fand oder sie einfach noch nicht ausprobiert hat, dann fühlt man sich vergrault und kauft am Ende dort, wo niemand urteilt. Im Internet. Denn der Online-Riese liefert kommentarlos und frei jeglicher Bewertung, ihm ist egal, was er verkauft, so lange er verkauft.
Der Buchhandel verdirbt sich die Chance, Menschen von dort abzuholen, wo sie stehen, wenn er diese arrogante Haltung einnimmt. Die Bewertung über die Qualität von Literatur ist eine zweischneidige Sache. Natürlich gibt es wirklichen Schrott auf dem Büchermarkt, mehr, als für uns gut wäre. Aber das Empfinden, was denn nun Schrott ist und was nicht, ist subjektiv. Diejenigen Autoren, die mit Sprache zaubern können und die wirklich anrühren mit guten Geschichten, die bleiben in ihren Zaubergärten gefangen, wenn niemand mehr einen Buchladen betritt. "Kunden, die dies gekauft haben, kauften auch..." - dieser Algorithmus ersetzt nicht das gute Gespräch über die Ladentheke oder die Empfehlung von Freunden. Gute Literatur bleibt unter solchen Umständen so etwas wie eine gehobene Ware für eine kleine Elite. Und das ist schade.
Übrigens sind Leseempfehlungen hier sehr willkommen. Nicht, dass der Stapel neben dem Bett doch noch kleiner wird.
Dabei war ich nie eine ausgesprochene Freundin von Klassikern. Im Deutsch-Leistungskurs haben wir irgendwie alles sorgfältig umgangen, das andere Klassen und Kurse standardmäßig zu lesen hatten. Mit Lessing, Schiller und Goethe bin ich bis heute unvertraut, den Faust habe ich verdrängt und im Gedächtnis blieb mir nur Fontane - vermutlich, weil ich "Effi Briest" bereits las, bevor wir das Werk in der Schule sezieren mussten.
Es ist im Grunde erstaunlich, dass mir unser eigenartiger Deutschlehrer das Lesen nicht verleiden konnte. Bereits als Mädchen habe ich angestrengt gelauscht und beim kleinsten Geräusch, das im Treppenhaus zu hören war, schnell das Licht ausgemacht. Meine Bücher versteckte ich zum Teil im Bettkasten, weil meine Eltern über alles, was ich las, ein Urteil abgaben. Insbesondere dann, wenn es sich um Pferdebücher oder Teenie-Schnulzen handelte und nicht um etwas Höherwertiges. Dem wusste ich mich zu entziehen. Besonders tat es mir William Goldings "Herr der Fliegen" an mit seiner breiten Palette an Charakteren und dem mystischen Touch, den die Handlung später erhält. Meine Taschenbuchausgabe ist inzwischen reichlich zerfleddert, hat geknickte Ecken und einen abgestoßenen Rücken, aber das Buch gehört zu denjenigen, die ich niemals abgeben würde.
Beim Stöbern in Herrn Giardinos Zitaten-Liste stieß ich auf diesen "offenen Brief" über die Veränderung der Buchläden. Obwohl meine Hauptquelle für Bücher meist Freunde oder unsere äußerst gut sortierte Bücherei sind, kann ich nachvollziehen, was Stefan Möller schreibt. Auch in meiner Stadt hat der Buchhandel gelitten, es gibt von früher drei Buchläden nur noch einen, ein weiterer ist hinzugekommen, und natürlich ist da noch der obligatorische "Weltbild"-Shop, den ich persönlich aber kaum als Buchladen bezeichnen mag. Den Niedergang der wirklich guten Buchläden habe ich ziemlich deutlich mitbekommen, denn meine Schwiegermutter arbeitete lange Zeit in einem der örtlichen Geschäfte, das spezialisiert war auf Romane, Schulbücher und Schreibwaren.
Derjenige Buchladen, der bis heute noch besteht, bot früher schwerpunktmäßig Kinderbücher und war darin absolut sattelfest. Er hält sich bis heute zäh und wacker, was mit daran liegt, dass die Betreiberin es verstanden hat, eine gewisse Arroganz dem profanen Publikum gegenüber abzulegen. Der Gatte liest gern Science Fiction. Wenn er früher mit dieser Aufgabenstellung den betreffenden Laden betrat, erntete er meist ein recht herablassendes "Sowas führen wir nicht!" Inzwischen gibt es in dieser Buchhandlung einen jungen, bezopften Mitarbeiter, der Bescheid weiß, Empfehlungen geben kann und mit dem sich der Gatte gern über Neuerscheinungen unterhält. Kunde gewonnen statt vergrault, ein echter Pluspunkt. Und gern nehmen wir beide auch den Bestellservice in Anspruch, der schnell und unkompliziert funktioniert und dem Online-Bücherriesen in absolut gar nichts nachsteht. Im Gegenteil, als ich Karten für unsere Weserbergland-Wanderung benötigte, waren die im Laden erheblich unkomplizierter zu kriegen als im Internet.
Dieser Laden ist aber auch eher die Ausnahme. Die Betreiberin organisiert Lesungen und kulturelle Veranstaltungen, arbeitet eng mit der Bücherei zusammen und versteht etwas von ihrer Profession. Natürlich haben sich auch hier die Non-Book-Artikel eingeschlichen, von denen Stefan Möller schreibt. Auf der Verkaufstheke stehen Lesezeichen, kleine Schokoladetäfelchen, Briefbeschwerer, Kärtchen und Schlüsselanhänger, und ab und an habe auch ich durchaus etwas übrig für diesen Killefitt. Aber das Geschäft ist damit nicht überladen, und zum Glück würde man die "Shades of Grey"-Reihe und in deren Wirbelschleppe entstandene Fan-Fiction-Softporno-Bücher in dieser Buchhandlung vergeblich suchen. Der andere Laden dagegen hat ziemlich viel Ratgeber-Literatur à la Wie Sie Ihr Kind dazu bringen, mit drei Jahren sieben Sprachen zu beherrschen und Basische Ernährung leichtgemacht, Wörterbücher und vor allem viele, viele kleine Geschenkbüchlein (für die Jungfrau, den Widder und den Steinbock). Vor der Tür steht eine große Kiste mit reduzierten Wandkalendern des laufenden Jahres, auf den Titelbildern Kätzchen und Motorräder.
Was mir im Buchladen meines Vertrauens hingegen fehlt, ist eine größere Abteilung für englischsprachige Bücher. Zu deren Gunsten könnte man meiner Meinung nach gut und gerne auf einige Exemplare der Sinnsprüche- und Kirchenkalender-Ecke verzichten. Aber nun gut, danach fragt wohl wirklich die Kundschaft nicht in unserer kleinen Stadt. Wenn ich sie bestelle, bekomme ich auch diese Bücher innerhalb kurzer Zeit.
Trotz meiner Schwäche fürs Lesen gehöre ich aber nicht unbedingt zu den Stammkunden dieses durchaus qualitativ hochwertigen Buchladens am Ort. Nicht, dass ich etwas dagegen hätte, bei meinen Einkäufen den gut sortierten Einzelhandel zu unterstützen. Aber wenn man mich fragte, was ich denn eigentlich lese, was ich suche, dann könnte ich darauf gar keine handfeste Antwort geben. Ich bevorzuge kein Genre, entweder versteht es ein Autor, mich auf den ersten Seiten zu fesseln, oder er versteht es nicht.
Zur Zeit lese ich - profaner geht es in den Augen mancher sicherlich kaum - erneut die Harry-Potter-Bände, die eine wunderbare Lektüre für diese warmen Sommertage abgeben. Ich mag sie noch immer, die klassische Heldengeschichte von dem Waisenkind-Außenseiter, der plötzlich feststellt, dass nichts so ist, wie es scheint. Ich mag die Vorstellung, neben unserer könnte es noch eine andere Welt geben, in der mehr möglich ist. Zugleich sind die Bücher so menschlich, mit einer Prise Coming-of-age, und Rowlings Ideen tiefsinnig und phantasievoll gleichermaßen. Mich fasziniert das dauerhaft. Allerdings habe ich mir auch hier vorbehalten, die Bücher im Original zu lesen. In der Übersetzung verliert sich einfach zu viel Wortwitz und Eigenart.
Was das betrifft, bin ich also gerade ziemlich Mainstream. In meinem Wartestapel für die Post-Potter-Zeit liegen ein Sachbuch über Kriminalität und Richard Fords "Canada" im Original, worauf ich mich sehr freue. Was danach kommt, weiß ich noch nicht. Freundin I. gab mir vor langer Zeit einmal die Empfehlung, Stewart O'Nan zu lesen, was der beste Tipp seit langem war. Ich habe inzwischen beinahe alles von O'Nan gelesen und bin überaus fasziniert von seiner Sprache und den meist eher leisen Szenarien, die er um einschneidende Ereignisse herum erschafft (was ihm - ein Kompliment eigentlich - bei manchem Amazon-Rezensenten das Urteil eintrug, in seinen Büchern passiere ja überhaupt nichts).
Weil ich mich auf I.s literarische Ratschläge verlassen kann, brauche ich selten das Gespräch im Buchladen. Aber wenn ich sie nicht hätte oder wir nicht denselben Geschmack in Sachen Bücher teilten, dann wäre das genau das, was ich von einem fähigen Buchhändler erwarte: Dass er mir anhand von einigen Eckdaten Lektüre empfehlen kann, die meinen Geschmack trifft. Was natürlich voraussetzt, dass der Buchhändler selber liest. Zumindest Rezensionen, bestenfalls aber auch Bücher. Dass er sich auskennt in den verschiedenen Genres und etwas darüber sagen kann. Dass er den einen oder anderen Geheimtipp Werke und Autoren betreffend von sich geben kann, der neue Perspektiven erschließt.
Da käme der Online-Riese nicht mit. Während ich überhaupt kein schlechtes Gewissen habe, dort CDs zu bestellen, weil es auch hier am Ort lediglich einen Media-Markt gibt, der noch dazu eine grauenhaft schlechte Auswahl hat, halte ich mich Bücher betreffend dort heraus. Die Rezensionen der Kunden dort sind ohnehin eine schiere Katastrophe. Entweder, sie spoilern so gnadenlos, dass man das Buch nicht mehr zu lesen braucht, indem sie in Grundschulmanier die Handlung nacherzählen und letztlich als Fazit "Ich fand das Buch blöd!" hinzufügen, oder sie verreißen Titel, weil sie sie inhaltlich einfach nicht verstehen, oder, oder, oder... Allein die Tatsache, dass sich dort für solche Bewertungen langsam aber sicher der Terminus "Rezession" eingeschlichen hat, spricht für sich, führt aber immer wieder dazu, dass sich mir die Zehennägel hochbiegen.
Der stationäre Buchhandel ist also mitnichten tot, und manche, wenn auch längst nicht alle, Buchhändler verstehen es, mit Qualität zu überzeugen. Dass die weniger werden, ist schmerzhaft und bedauerlich. Da bin ich mir mit Stefan Möller einig. Dennoch würde ich nicht gleich jeden verurteilen, der gern sogenannte historische Wanderhuren- und Fugger-Romane, Krimis oder gar die unsäglichen "Shades-of-Grey"-Bücher liest. Sich über den Mainstream zu erheben ist, wie ich bei unserem besagten heimischen Buchladen erleben durfte, nämlich für viele Kunden auch ein Hinderungsgrund, einen Laden zu betreten. Wenn man das Gefühl hat, schräg angeschaut zu werden, nur weil man mit der sogenannten hohen oder "E-Literatur" nichts am Hut hat, dazu nie einen Zugang fand oder sie einfach noch nicht ausprobiert hat, dann fühlt man sich vergrault und kauft am Ende dort, wo niemand urteilt. Im Internet. Denn der Online-Riese liefert kommentarlos und frei jeglicher Bewertung, ihm ist egal, was er verkauft, so lange er verkauft.
Der Buchhandel verdirbt sich die Chance, Menschen von dort abzuholen, wo sie stehen, wenn er diese arrogante Haltung einnimmt. Die Bewertung über die Qualität von Literatur ist eine zweischneidige Sache. Natürlich gibt es wirklichen Schrott auf dem Büchermarkt, mehr, als für uns gut wäre. Aber das Empfinden, was denn nun Schrott ist und was nicht, ist subjektiv. Diejenigen Autoren, die mit Sprache zaubern können und die wirklich anrühren mit guten Geschichten, die bleiben in ihren Zaubergärten gefangen, wenn niemand mehr einen Buchladen betritt. "Kunden, die dies gekauft haben, kauften auch..." - dieser Algorithmus ersetzt nicht das gute Gespräch über die Ladentheke oder die Empfehlung von Freunden. Gute Literatur bleibt unter solchen Umständen so etwas wie eine gehobene Ware für eine kleine Elite. Und das ist schade.
Übrigens sind Leseempfehlungen hier sehr willkommen. Nicht, dass der Stapel neben dem Bett doch noch kleiner wird.