Ich und Kauffrau...
Sie wissen nicht, was sie tun.
S. antwortete auf meine Mail, und es ist eben doch so, dass ich jetzt als rücksichtslose Person dastehe. Sie betonte, wie unglaublich viel sie um die Ohren habe, und das seien zum Teil Dinge, die sie nicht absagen könne, auf andere wolle sie aber auch nicht verzichten. Das ist - auf die wie üblich indirekte Art und Weise - ihre Begründung dafür, dass sie sich nicht mehr engagiert.
Und mir wird klar: Was ich ihr sage und schreibe, ändert nichts. Wie immer wird es auch jetzt so bleiben, dass sie sich übernimmt und dass meine Wünsche und Bitten nur noch mehr zu ihrer Überforderung beitragen. Weil sie alles will, bleibt an mir hängen, was sie nicht schafft. Ja, sie will mit mir wandern gehen, aber durch die Blume gibt sie mir zu verstehen, dass ich nicht von ihr verlangen, erwarten, nicht einmal erbitten kann, dass sie sich mehr kümmert. Schließlich ist sie ohnehin schon überlastet.
Ich soll also bitte den Planungsservice übernehmen, und dann soll ich auch noch die Verantwortung für das Gelingen der Operation tragen.
Sie schreibt, sie sei untrainiert, vor allem mit Gepäck. Da fällt mir dann nur ein, dass eine solche Tour, so sie nicht bereit ist, zu trainieren, nichts für sie ist. Vielleicht sollte sie dann lieber einen Wellness-Urlaub vorziehen, anstatt eine mehrtägige Wandertour machen zu wollen.
Schon im letzten Jahr hatte sie ihren viel zu kleinen Rucksack so randvoll gestopft, dass kein Platz mehr für ausreichend Wasser blieb und ich auch ihren Proviant in meinem Gepäck verstauen musste. Das ist irgendwie sehr sinnbildlich: Ich fühle mich, als solle ich tragen, was sie nicht tragen kann, und sie nimmt es im wahrsten Sinne des Wortes leicht, weil sie ja jemanden hat, der ihr das Gewicht abnimmt.
Dazu bin ich nicht mehr bereit.
Sie schreibt, die bisherigen Etappenplanungen setzten sie unter Leistungsdruck. Am meisten verletzt mich aber ihr Satz "(...) verstehe vollkommen, wenn Du bestimmte Touren vielleicht nicht mit mir machen möchtest, weil ich diese nicht schaffe." Davon habe ich nie gesprochen. Ich hatte um Kompromissfindung gebeten, darum, dass sie sich einbringt - und nichts kam.
Ich möchte mich verabschieden aus der Pflicht, Gedanken lesen zu sollen, alles organisieren zu sollen, es ihr recht machen zu sollen, sie bevormunden zu sollen, mich auf sie einstellen zu sollen, für sie machen, denken, tragen zu sollen, Rätsel raten zu sollen bezüglich ihrer Bedürfnisse.
Wenn sie etwas nicht kann, verstehe ich es. Aber ich verstehe nicht, dass sie es trotzdem will, und zwar dann auf meine Kosten.
Die Tour verblasst, die gemeinsamen Tage verblassen. Ich möchte das nicht. Ich fühle mich nicht wahrgenommen von ihr, ich fühle mich wie eine Reiseleiterin, die kostenlos arbeiten soll. Here we are now, entertain us.
Ich bin unglaublich wütend auf S., und ich bin es auch Leid, mich dauernd zu fragen, ob sie denn nun etwas für ihr Verhalten kann oder nicht. Wenn ihr der Kopf schwirrt, dann liegt es in ihrer Verantwortung, daran etwas zu ändern, nicht in meiner, mich dem anzupassen. Wenn sie auf allen Hochzeiten tanzen möchte, gern. Aber ich werde das nicht mitmachen.
In meiner Verantwortung liegt es, zu sagen: So nicht!
Ich bin fürchterlich traurig, aber ich glaube, eine Grenze ist erreicht, und ich muss erkennen, dass unter diesen Umständen eine gemeinsame Wanderung nicht möglich ist.
Nicht, dass ich nicht gern wandern gehen würde. In der Rückschau war die Tour im letzten Jahr verdammt schön. Aber jetzt renne ich mir den Kopf ein - an den alten Hindernissen, die mich auch schon letztes Jahr so verärgert haben. Daran zum Beispiel, dass sich S. zur Zeit für alles mögliche zu interessieren scheint, aber nicht für die gemeinsame Planung. Dass sie weder Freude noch Initiative zeigt, keine eigenen Ideen einbringt. Dass wieder ich es bin, die sich kümmern darf. Wird schon irgendwie laufen, das Ganze.
Es ist, als hätte ich im letzten Jahr diesen Konflikt nicht angesprochen, als wäre darüber nie ein Wort gefallen. Ich habe den Impuls, den ganzen Querelen den Rücken zuzuwenden und einfach allein zu gehen. Ich möchte nicht die Verantwortung allein tragen, wenn wir zu zweit gehen. Ginge ich allein, trüge ich sie auch nur für mich. Von ihr kommt ja nichts.
Ich würde am liebsten hinwerfen. Oder S. anbrüllen. Ohne mich dabei wie das Schwein vom Dienst fühlen zu müssen, ohne darüber nachdenken zu müssen, ob ich damit S. mit ihrer ewig passiven, freundlichen, nachsichtigen Art auf den Schlips trete. Ich bin gerade ziemlich sauer und vor allem mächtig enttäuscht. Wieder dieselbe Leier. Verdammte Scheiße!
und Verzicht nach sechs.
So ärgerte sich beispielsweise neulich Bloggerkollegin Tama über überflüssige Pfunde. Im Kommentarstrang entspann sich eine mal mehr, mal weniger sachliche Diskussion um Diktate von außen und um Selbstwahrnehmung, gar um Intelligenz (denn sich dem Schlankheitsdiktat zu beugen, sei ja irgendwie schließlich dumm). Anderswo in unserem Bloggerdorf treibt eine junge Mutter der Wunsch um, nach Schwangerschaft und Geburt möglichst schnell wieder zur "Sexy Mum" zu werden und sie fragt sich, ob sie es durchhält, auch bei Besuch weiterhin nach 18 Uhr keine Kohlehydrate zu essen. Frau Journelle hat sich entschlossen, die Personenwaage von ihrer tragenden Rolle in ihrem Leben zu entbinden, dem #waagnis-Phänomen folgend, das Bloggerin Maike ins Leben rief.
Ich möchte nicht behaupten, dass Gewicht und Körperform früher eine geringere Rolle spielten als heute. In meinen alten Burda- und Neue Mode-Heften aus den Sechzigern und Siebzigern finden sich unfassbar viele Inserate für Schlankheitsprodukte, auch wenn immerhin die Schneiderhefte damals noch Modelle in den Größen 34 bis zum Teil sogar 50 lieferten, ohne mit der Wimper zu zucken und das Etikett "Plusgröße" draufkleben zu müssen. Da fand sich eine 42, wie ich sie trage, in der Mitte der Bandbreite, während ich damit heute in der Kategorie XL rangiere. Dabei fühle ich mich gar nicht XL. Allenfalls in der Länge, die ich aber sehr mag.
Zurück zur Freudlosigkeit. Es wird im Zusammenhang mit Körpern, Körperbildern und Körperidealen allenthalben an das und über das Essen nachgedacht. Kasteiung scheint das Gebot der Stunde, Fresserei gilt als maßlos, man befasst sich dauernd mit dem Thema der Nahrungsaufnahme. Mit jeder einzelnen Kalorie. Wann man isst. Was man isst. Wo sich das niederschlägt. Ob das Stück Schokolade einen vom eigenen Ideal entfernt oder ob man sich das "gönnen" darf. Egal, ob man jetzt tatsächlich (nach wessen Maßstäben auch immer) zu dick ist, alles, was wir uns zuführen, muss bewertet werden. Entweder, weil wir uns so oder so schon inakzeptabel fühlen, oder, weil wir nicht riskieren wollen, es zu werden.
Genuss geht anders. Ich liebe Sahne. Ich kann Sahne schlagen, einen Viertelliter, einen halben, mit ein bisschen Vanillezucker, und dann einfach löffeln. Das ist sowas von abartig lecker. Aber ich weiß mit Sicherheit, dass das für mich nicht mehr länger lecker sein wird, wenn ich mir während des Löffelns den Kopf darüber zerbrechen muss, was ich da eigentlich mache. Oh je, zwei Kugeln Eis - nein, dann lieber nur eine (obwohl ich gerne noch die Geschmacksrichtung Kokos probiert hätte). Oh je, das ist mit Käse überbacken, das ist nicht gut für mich. Oh je, ich merke, ich kriege Lust auf ein Butterbrot mit Salami - aber das soll ich ja nicht... Was es da zu begehren gibt (und das völlig zu Recht), das trägt für uns immer gleich das absolut lustfeindliche Verbot in sich. Und selbst, wenn wir es uns "erlauben", wissen wir, dass wir uns selbst hinterher dafür büßen lassen, weil der Genuss allen Anforderungen an uns selbst entgegensteht.
Das ist die pure Freudlosigkeit. Jemandem, der mit Freude sein Essen genießt, ungeachtet der Zutaten und Nährwerte, und dabei nicht ein einziges Mal eine Spur von Reue zeigt, legt man auch von außen diese Schablone an. Entweder, er ist einfach eine "fette Sau", die kein Maß kennt (und widert uns daher an), oder er ist jemand, der das "Glück" hat, ein schlechter Kostverwerter zu sein (und wir beneiden ihn dieserhalb). Zugrunde liegt allem die Wertung: dünn = diszipliniert = kontrolliert = schön = selbstbewusst. Aber so dermaßen verdammt freudlos.
Ähnlich verhält es sich dann mit Sport und Bewegung. Das ist etwas, zu dem wir uns aufraffen, bei dem wir uns quälen müssen, auch hier spielt Kasteiung, Disziplin, Durchhaltevermögen eine Rolle. Der Schweinehund ist präsent, das dauernde, in das Fell eines besonders hässlichen Viechs gekleidete Müssen. Wir rechnen Eisbecher um in Stunden auf dem Crosstrainer und Grillwürstchen in Trainingseinheiten. Sport ist der Preis, den man für den Genuss zu zahlen hat.
Auch das ist fürchterlich freudlos. Konditionierung auf Sport als Strafe tötet jegliche Freude an Bewegung, die natürlicherweise vorhanden ist. Allein der Gedanke, zu müssen, ist Grund genug, nicht zu wollen. Verloren geht dabei die zen-artige, simple Freude an den Schritten, die man tut, an der Luft, die man atmet, an den Muskeln und Knochen, deren Zusammenspiel man fühlen kann. Verloren geht die Faszination über die Fähigkeit des eigenen Willens, den Körper aus eigener Kraft von hier nach dort zu bringen. Es bleibt nur noch Seitenstechen.
Wann genau wurden das Leben und mit ihm zwei fundamentale Bedürfnisse wie Bewegung und Essen so freudlos? Ich glaube, das ist kein Phänomen, das erst mit den Magermodels in Magazinen und auf Laufstegen auftauchte. Nicht erst, seit Kate Moss hohlwangig schwarz-weiß im Sand lag und über das reine Sein delirierte, gilt die Disziplinierung des eigenen Körpers als anzustrebendes Ziel. Als Wohlstand für alle noch neu war und man in Sonntagsbraten mit Klößen und bunten Platten mit Mettigel und Käsespießen schwelgte, da ging es zuerst noch um das Stillen des Hungers, den man in den Jahren zuvor gründlich kennengelernt hatte. Zugleich entfiel die Notwendigkeit, sich all zu viel bewegen zu müssen. Erst, als genug von allem da war, wurde es Zeit, eine neue Form zu finden. Jetzt, da einem die Wahl der Nahrung nicht mehr durch die äußeren Bedingungen diktiert wird, muss man selbst wählen. Um wählen zu können, muss man sich beschränken. Zur Beschränkung gehört Disziplin. Der Disziplin steht das horrende Überangebot von so gut wie allem entgegen - unkontrollierbar vielfältig. Wir kriegen das Leben in wirklich allen Geschmacksrichtungen serviert.
Wir wollen aussehen wie Menschen, die das kontrollieren können. Der Körper und seine Form wird machbar. Den eigenen Körper zu machen, zu modellieren lässt uns stark wirken. Wir haben die Zügel in der Hand. Damit bestimmen wir auch, ob und von wem wir begehrt werden, welchen Marktwert wir haben. Wir legen ein Versprechen in unser Aussehen - stark zu sein, definiert zu sein, sicher zu sein und Sicherheit zu bieten. Wir sichern uns ab, auch wirklich gewollt zu werden. Unserer Leistung wegen, uns schön und stark zu machen und zu wissen, was wir wollen. Dann braucht der andere das nicht zu tun, und er braucht keine Makel in Kauf zu nehmen, und wir laufen nicht Gefahr, auf Ablehnung zu stoßen.
Nichts ist weiter entfernt davon, selbst zu sein und die eigenen Bedürfnisse zu kennen. Ich fühle mich nicht deshalb unwohl in meinem Körper, weil ich ihn auf unangenehme Art fühle, sondern weil ich Bilder vor meinem inneren Auge trage, wie er zu sein hat. Vor allem eines soll ich demzufolge erreichen: Ich soll mich in meinem Körper wohlfühlen. Dieses Argument sticht in allen Debatten um Körperformen immer wieder besonders hervor. Der Zwang zum Wohlfühlen und das Diktat darüber, wie sich Wohlfühlen ganz genau anzufühlen hat. Bitte auch noch glücklich sein mit dem, was man tut. Nach erzwungener Schwitzerei mit einem glückseligen Seufzer in die Kissen sinken und den Stolz über das Geschaffte, die Kontrolle, die Disziplin vor sich hertragen wie ein Werbeplakat. Aber kein Mensch fühlt sich immer wohl. Ich fühle mich auch nicht immer gleich wohl. Mit Mitte, Ende 30 macht mein Körper etliche Dinge, die ich nicht so schön finde. Der Kontrollwahn hat auch darauf eine Antwort: Wellnessangebote, von den Krankenkassen finanzierte Kurse in Autogenem Training, Burn-Out-Therapien (für ein paar Wochen in die Klinik - danach geht's Dir wieder besser). Das Unwohlsein zu bekämpfen wird für machbar gehalten. Das ist das Gegenteil von Akzeptanz.
Es geht mir erheblich besser damit, zuzugeben, wenn ich mich gerade nicht wohl fühle, weil ich in fünf Tagen meine Regel bekomme und mich aufgeschwemmt fühle und der Hosenbund kneift und keine Kleidung mehr richtig sitzt. Das ist blöd! Das muss ich mir nicht schönreden, ich muss dagegen keine Dragees, keine Pille nehmen oder Tees trinken oder Selbstliebe-Kurse nehmen. Was hilft ist, den Hosenbund zu lockern und es als gegeben hinzunehmen. Notfalls auch mit dem einen oder anderen kräftigen Fluch.
Es kommt vor, dass dieser Körper sich sehr unangenehm anfühlt. Oft sogar. Das muss er ja wohl auch, denn wie sollte er sich sonst bemerkbar machen und mich auf meine Bedürfnisse hinweisen? Er weiß, was ihm schmeckt, er weiß, wann er Hunger hat, er weiß, welche Belastungen er aushält und welche nicht, er weiß, was weh tut. Mein Körper ist der, der mich anmault, wenn ich das Mittagessen vergesse (wie gerade jetzt), der kribbelig wird, wenn er nicht genug frische Luft bekommt, der, der Fahrradfahren will.
Er weiß ganz genau, wenn ich ihn vergewaltigen und etwas aus ihm machen will, das er nicht ist. Er ist nicht nur ein Werkzeug, er ist nicht nur mein Äußeres. Er ist mein Zuhause, und zwar mein einziges. Schon allein aufgrund dieser Eigenschaft sollte es sich verbieten, ihn einem Ideal anzugleichen. In sich zu wohnen, auch wenn es bisweilen gewaltig zwickt und scheuert, das wäre ein Anfang.
Bei seinem zweiten Besuch besitzen die Anwohner nicht einmal mehr die Freiheit, ihre Fenster zu öffnen und ihre Balkone zu benutzen, wenn sie das wünschen. Und so weiter.
Aber träumen darf man, immerhin.
Martenstein, Momentchen! Das war doch der, der sich vor der Schneckisierung der Geschlechter fürchtete, oder deutlicher formuliert, davor, dass es zukünftig nur noch Fränner und Mauen geben würde, weil alle bis zur totalen Unkenntlichkeit ge-gender-mainstreamt würden. Irgendwie hat der Mann einen Komplex, was das betrifft. Mich deucht, er ist vielleicht ein recht unsicherer Mann.
Ich las nochmal den Titel der "Zeit", garniert mit Bildern von jeweils einem sehr androgynen Mann und einer sehr androgynen Frau: Frau? oder Mann? Und mein Reflex war: "Ehrlich, wen interessiert das?"
Wen interessiert, ob die Abgebildeten das sind, für das man sie zuerst hält, oder das, was sie auf den zweiten Blick sind? Wen interessiert, ob der Säugling im Kinderwagen des Nachbarn ein Junge oder ein Mädchen ist? Wen interessiert, ob sich Männer und Frauen - gemessen an der althergebrachten Vorstellung - auch wie solche verhalten? Seltsamerweise, so scheint mir, sind das in erster Linie die Traditionalisten. Sie sind diejenigen, die für alles eine Schublade brauchen. Die unbedingt ermitteln müssen, ob gute Autofahrkünste für eine Frau typisch oder untypisch sind. Die unbedingt festlegen wollen, was die meisten Männer oder Frauen tun und was an dem Verhalten einzelner als abweichend gewertet wird. Denen es nicht ausreicht, Menschen zu kennen, die so sind, und andere, die anders sind.
Ich bin keine Freundin derjenigen Feministinnen, die immerzu auf die chronische Benachteiligung der Frauen pochen und das schlichtweg Böse immer bei den Männern suchen. Gegen solche Vertreterinnen in der Genderforschung wendet sich Martensteins neuester Artikel unter anderem, und das tut er zu Recht. Zugleich bemerke ich aber in seinem Geschreibsel zum wiederholten Mal eine seltsame Mischung aus Herablassung und Ungerechtigkeitsparanoia, mit der er seine eigenen hellsichtigen Momente gleich selbst gründlich wieder zerstört.
Eine offensichtlich grundlegende Schwierigkeit besteht wohl darin, das, was Individuen tun, können und fühlen, nicht gleich in einen Geschlechtszusammenhang zu stellen. Den Menschen in der Kochschürze oder im tiefergelegten Auto zu sehen, ist das offensichtliche Problem. Es ist ein in der Wissenschaft anerkanntes und durchaus auch probates Mittel zum Erkenntnisgewinn, aus Beobachtungen Rückschlüsse zu ziehen auf eine Gesetzmäßigkeit. Wenn nun aber die Mehrheit der Kochschürzenträger weiblich ist und die Mehrheit der Fahrer von tiefergelegten Autos männlich, warum muss man dann so anmaßend sein und daraus ein Gesetz ableiten? Nämlich dasjenige, dass den Männern das risikofreudige, denkbefreite Protzen mit Statussymbolen und den Frauen die hausgebundene, nährende, sorgende Tätigkeit bereits in den Genen liegt? Das ist ungefähr so logisch wie zwischen der globalen Erwärmung und dem Verschwinden der Piraten auf den Weltmeeren einen Zusammenhang herzustellen, obwohl man beobachten kann, dass beides stattfindet. Zumindest sollte die Wissenschaft in der Lage sein, ihre aus Beobachtungen gewonnenen Erkenntnisse stets kritisch in Frage zu stellen und zu überarbeiten.
Überhaupt halte ich es für problematisch, etwas zum Gesetz zu erklären. Diese Anmaßungen zu hinterfragen und stattdessen die Frage nach der sozialen Konstruktion der Verhältnisse aufzuwerfen ist ein großes Verdienst der Genderforschung, auch wenn sie sich nebenbei oder anschließend bisweilen gründlich vergaloppiert hat.
Ich las neulich bei Journelle einen tollen Artikel über das "Normale" und die Vielfalt, den ich sehr erfrischend fand. Ständig müssen wir werten, und auch die Kategorisierung der Geschlechter beinhaltet eine solche Wertung, ganz gleich, ob sie je nach "Eigenschaften" von Mann und Frau positiv oder negativ ausfällt. Die Werterei beginnt schon bei der Kategorisierung in "normal" und "unnormal", in diesem Fall für Mann und Frau, und gesellschaftliche Sanktionen folgen auf dem Fuße.
Eigentlich ist es vollkommen gleichgültig, ob es beispielsweise für eine Frau als normal oder unnormal erachtet wird, sich in ein Automobil zu setzen und im Wortsinne um die gesamte Welt zu fahren. Clärenore Stinnes jedenfalls erachtete es als für sich möglich und erstrebenswert und tat es. Darin war sie authentisch.
Diejenigen, die sich in die genetische Determination von Verhaltensweisen verbeißen, verbauen sich und ihren Mitmenschen eine ganze Bandbreite von individuellen Möglichkeiten. Das ist, was mich so sehr ärgert. Konservative und Biologisten versuchen verkrampft, die Möglichkeiten, die uns die Biologie mitgibt, zur Verhaltensmaxime zu erheben, die sie nicht ist. Dann werden - unter dem Deckmäntelchen des besseren Verständnisses für das andere Geschlecht - pauschale Statements über typisches Männer- und Frauenverhalten abgegeben, und schon wird aus dem Kerl der schlechte Zuhörer und aus der Frau die dreidimensional verwirrte Aneckerin. Ausgemachter Blödsinn, wenn man mich fragt. Ich kann ein Kind kriegen, aber ich muss es nicht wollen. Mein Nachbar könnte einen Hammer in die Hand nehmen und ein Spielhäuschen zimmern, aber er muss es nicht wollen. Mein Neffe kann ein toller Fußballer werden, aber er muss es nicht wollen. Meine Freundin kann einen großen Kleiderschrank voller schöner Sachen haben, aber sie muss es nicht wollen.
Mal davon abgesehen, dass es schön wäre, gar nicht mehr werten zu müssen und einfach akzeptieren zu können, wie Journelle sehr passend bilanziert, steht man doch grundsätzlich eher vor der Frage, ob man selbst ganz persönlich mit den Eigenschaften des Gegenübers zurechtkommt oder nicht. Mir wäre so ein tiefergelegter Protzbrocken in meinem Leben ganz und gar nicht recht, weil ich Menschen mag, die wissen, wer sie sind und auf Show verzichten können. Und wäre mein Mann des Zuhörens nicht fähig, so wären wir wohl nicht zusammen. Dasselbe gälte auch für meine Freunde und Freundinnen - sie wären keine solchen, wenn sie solche Charakterzüge besäßen.
Was mich aber am meisten stört ist, dass bei der (angeblich naturwissenschaftlich-evolutionistisch begründeten) Argumentation der Geschlechter-Kategorisierer vollkommen unter den Tisch fällt, was man an Erkenntnissen in der Epigenetik hinzugewonnen hat. Dass nämlich eine genetische Fundierung vieler Merkmale zwar möglich ist, aber das Aktivieren und Abrufen bestimmter genetischer Codes sich immer auch nach den Umweltverhältnissen richtet, in denen ein Mensch gezeugt, geboren und aufgezogen wird. Was in der Steinzeit (angeblich) gegolten hat, muss im letzen Weltkrieg nicht mehr gegolten haben. "Ist halt so!" ist ein Argument, das einfach nicht mehr zieht. Wir verändern uns fortwährend, sonst würden wir auch gar nicht in der Lage sein, zu überleben.
Ich werde nicht bestreiten, dass es Männer und Frauen gibt, und dass ein Mann ein Mann ein Mann ist und eine Frau eine Frau eine Frau (und mancher Mensch alles mögliche dazwischen). Insofern ist Herr Martensteins Befürchtung, wir würden alle zu geschlechtslosen Schnecken, von denen man nicht mehr weiß, was sie sind, wohl eher unberechtigt. Mit dem Verhalten ist es etwas anderes. Dass der Besitz eines Penis beispielsweise das leidenschaftliche Tragen von Stöckelschuhen nicht ausschließt, sieht man an Jorge Gonzalez (was auch immer der Einzelne von ihm halten mag). Extrem untypisch, ja, zweifelsohne. Aber der lebende Beweis dafür, dass hier überhaupt nichts biologisch determiniert ist. Auch, wenn manche da vielleicht erst einmal eine gründliche Recherche fordern würden, wie der Hormonstatus des Knaben ist und ob seine Frau Mama in der Schwangerschaft eventuell absurde Dinge getan hat, die den armen Fötus-Jorge von der vorgezeichneten typischen Entwicklungsbahn geschubst haben - weil man ja für alles Abweichende bitte immer eine Erklärung braucht, sonst fühlt man sich unsicher.
Mann oder Frau, das interessiert mich nicht wirklich. Die Frage ist lahm. Viel interessanter ist die Frage, was ich da für einen Menschen vor mir habe, was ihn auszeichnet, was er fühlt und denkt, wer er ist. Das setzt natürlich eine gewisse Offenheit des Herzens und des Kopfes voraus. Ist die gegeben, dann werden auch Fragen danach, ob Homosexuelle gute Eltern sein können oder Mami eine Rabenmutter ist, weil sie ihr Kind in die Kita gibt, zweitrangig. Das könnten wir uns dann schenken. Ich schätze, das dauert nur leider noch eine ganze Weile.
Vor mir liegt Ungewissheit, und ich schwanke zwischen Zuversicht und latenter Panik. Freundin I. meinte, ich würde doch immer wieder irgendwie auf die Füße fallen, und dass sie mir das so gesagt hat und generell zu glauben scheint, dass ich einen Weg finden werde, das macht mir ungeheuer viel Mut.
Wie also soll's weitergehen? Ich stelle fest, dass mir der fehlende Studiumsabschluss Schwierigkeiten macht. Aber eben nicht nur der, denn selbst, wenn ich ein abgeschlossenes Studium hätte, stünde ich jetzt wieder vor der Problematik, mit den Geisteswissenschaften als Basis etwas anfangen zu müssen.
Was nicht bedeutet, dass ich nichts kann. Auf der Grundlage dessen, was ich kann (und mir in den vergangenen fünf Jahren im aktuellen Betrieb teils unter kundiger und freundlicher Anleitung, teils autodidaktisch angeeignet habe), würde eine Umschulung zur Mediengestalterin sinnvoll sein. Stellt sich dabei natürlich die Frage, wer das bezahlt. Wenn meine Lieblingsagentur die Kosten für diese Weiterbildungsmaßnahme trüge, dann stünde dem nichts mehr im Weg - abgesehen von ein paar Widersinnigkeiten.
Ich muss nämlich - darauf wies mich I. hin - im Falle, dass ich die Umschulung bewilligt bekomme, jederzeit bereit sein, die Maßnahme zugunsten einer Arbeitsaufnahme abzubrechen. Das erscheint mir haarsträubend, steht so aber leider auch im Merkblatt der Agentur. Das heißt, selbst wenn ich auf dem besten Wege zur ausgebildeten Mediengestalterin bin, muss ich im Zweifel eine Stelle als Hilfskraft beim örtlichen Bäcker oder irgendwo im Büro annehmen. Sinnhaftigkeit offen.
Googelt man nach dem Thema, finden sich nun wiederum nur die verzweifelten Äußerungen diverser Erwerbsloser, die die Maßnahmen, in die sie die Agentur für Arbeit vermittelt hat, abbrechen wollen, es aber nicht dürfen, es sei denn, sie nähmen in Kauf, dass ihnen die Mittel gekürzt werden.
Auf "gut" deutsch heißt das also, dass ich, ganz gleich, ob das sinnvoll ist oder nicht, den Anweisungen meines Sachbearbeiters zu folgen habe. Es schüttelt mich, es schüttelt mir den Kopf.
Nun muss es dazu ja nicht kommen, und Versuch macht klug. Ich habe am Montag in einer Woche einen Termin beim Weiterbildungsträger meiner Wahl. Einen Gesprächstermin bei meiner Sachbearbeiterin der Agentur habe ich bislang nicht bekommen. Das bestätigt mich darin, dass mich bloß Eigeninitiative weiterbringt und selbige Agentur sich lediglich als Notstandsverwalterin sieht, nicht als Vermittlerin und Perspektiveneröffnerin. Bei meinem letzten Termin, der berufsbedingt um viertel vor sechs abends stattfand, sagte die Dame vom Amt recht lapidar: "Um diese Zeit, so kurz vor Feierabend, überschlag' ich mich auch nicht mehr!" Die Einstellung müsste ich mir mal leisten.
Auch die Diskrepanz zwischen den schönen Worten seitens der Politik, die jüngst in den Medien auftauchen, und der Realität ist eklatant und fügt sich in dieses Bild der Widersinnigkeiten ein. Studienabbrecher wolle man besonders fördern, hörte ich erst neulich wieder. Hey, hier ist die Gelegenheit: Befassen Sie sich doch mit jemandem, der wirklich etwas lernen will. Machen Sie mich zur Fachkraft. Ich behebe gern Ihren Fachkräftemangel.
Die Jobangebote hier sind gerade sehr mau. Und ein Großteil der Angebote sind solche aus der Zeitarbeit. Es ist wirklich keine Frage von Lust oder Unlust, sich mit selbigen nicht näher befassen zu wollen - es kann aber spielentscheidend sein, wenn's um die Ansprüche gegenüber der Agentur geht. Meine Güte, davon wird mir schlecht.
Vor rund einem Monat gab es allerdings gleich mehrere Angebote in meiner Gegend, auf die ich mit einem Abschluss als Mediengestalterin super gepasst hätte. Mir macht das Hoffnung, aber erleichtert bin ich wirklich erst dann, wenn mein Ansinnen Erfolg hat. Also versuche ich, in den Nägel-mit-Köpfen-Modus zu schalten und mir nicht allzu viele Sorgen zu machen.
Erleichterung macht sich, von allem anderen mal abgesehen, aber auch breit angesichts des Umstandes, dass ich ab kommenden Monat nicht mehr in der Firma aufzutauchen brauche. Die Stimmung ist so dermaßen schlecht, dass man das Gefühl beinahe mit Händen greifen kann. Der Boss befindet sich alldieweil im Urlaub und gibt aus dieser unerreichbaren Position allerhand verquere Anweisungen, die ambestengestern umgesetzt werden sollen. So unter anderem auch der Umzug mit unseren Arbeitsplätzen von der Zweigstelle zurück ins Haupthaus, der am letzten Donnerstag befohlen und inzwischen ausgeführt wurde. Die Modalitäten und Gegebenheiten interessierten Chef einen feuchten Kehricht, wir sind halt alle "ein bisschen zusammengerückt". Man fühlt sich wie ein Möbel, das hin- und hergeschoben wird. Die Nebenstelle steht nun leer, und ich war nicht die einzige, die das wie eine vorgezogene Abwicklung empfand.
Nun, es kümmert mich nicht mehr. Schade nur, dass der Gatte das noch länger ertragen muss. Das ist denn auch das einzige, was mich tatsächlich ein wenig traurig macht: Die Mehrheit der Belegschaft wird mich zwar nicht vermissen, und ich sie auch nicht, aber es gibt doch einen, zwei Kollegen. Auch, nicht mehr mit dem Gatten zusammen zu arbeiten ist etwas, das mir und vielleicht auch ihm fehlen wird.
Vor mir liegt eine weiße Fläche, gefüllt mit ein paar Wegmarken und Terminen. Hoffen wir, dass sie sich nicht mit zu vielen Widersinnigkeiten füllen wird.
Manche Blogtitel meiden das Wörtchen "Nähen" wie der Teufel das Weihwasser, vielleicht des leicht biederen Images wegen, und diese tragen dann Titel, in denen es um Crafting oder Do-It-Yourself (DIY) geht. Andere geben sich bewusst nostalgisch, anstatt mit Anglizismen um sich zu werfen. Die Bandbreite ist groß, auch dazwischen gibt es eigentlich alles.
Unter diesen Selbermach-Bloggern (hauptsächlich sind es wohl Frauen, aber es gibt auch Ausnahmen) gibt es die Sitte des MeMadeMittwoch (MMM), an dem die Blogger und Bloggerinnen ihre selbstgemachten Kleider vorstellen. Eine schöne Idee, wie ich finde, auch wenn ich selbst dazu wenig beizusteuern hätte, weil ich so produktiv nicht bin. Meine Schneiderkünste sind (noch) zu beschränkt.
Auf der Netz-Konferenz re:publica hätten einige Teilnehmerinnen des MMM gern einen Vortrag gehalten, der sich um die Relevanz weiblicher Blogger, insbesondere der Selbermacherinnen im Netz, dreht. Der Vortrag wurde für die re:publica abgelehnt, aber drüber geschrieben haben die MMMlerinnen dennoch. Im dem Artikel folgenden Kommentarstrang ergab sich dann eine wilde, teilweise auch unschöne Diskussion darüber, wie politisch oder auch feministisch wohl die Selbermach-Bloggerei als solche sei. Manche vertraten die Auffassung, es gehe nicht im geringsten um Politik dabei und fühlten sich von den Schreiberinnen des Artikels zu Unrecht für eine größere Sache vereinnahmt, während sie doch einfach nur nähen, stricken, häkeln, selbermachen wollten.
Ich hatte eigentlich vor, in dem betreffenden Blog einen Kommentar beizusteuern, aber mal davon abgesehen, dass es die Bedingungen nicht zuließen, ganz freiweg nur unter Angabe von Name, Mail und URL dort zu posten, weitete sich der Gedanke über die politische oder nichtpolitische Natur der Selbermach-Bloggerei und des Nähens an sich aus, so dass ich nun doch beschlossen habe, einen eigenen Beitrag dazu zu verfassen.
Natürlich wirkt es auf den ersten Blick so, als haben die Selbermach-Blogs und die dahinter stehenden "Nähkränzchen" keinerlei politische Tragweite. Sie wirken auf manchen außenstehenden Leser sicher eher wie ein gemütliches Refugium zwischen bunt gemusterten Stoffen in der heimeligen Atmosphäre der eigenen vier Wände.
Die Wendung "aus dem Nähkästchen plaudern" bezeichnet nun ja gemeinhin die Preisgabe von etwas Intimem. Ich fühle mich da bisweilen an den Handarbeitskreis meiner Mutter erinnert, die sich einmal wöchentlich mit vier, fünf Freundinnen traf. Jede saß mit einer Stick-, Strick- oder Häkelarbeit auf der Couchgarnitur der Gastgeberin, hin und wieder floss auch mal ein Tröpfchen Sekt oder Wein, es wurde geschwatzt, gelästert, verglichen und gehandarbeitet. Das war zu Zeiten, als man noch große Begeisterung für Textiltapeten und Makramee-Wandbehänge aufbrachte.
Selbermacherinnen heute sind anders. Vielleicht etwas weniger intim, etwas selbstdarstellerischer, aber auch reichlich selbstbewusster, frischer und weniger bieder. Mit den Händen etwas eigenes herzustellen, ist nicht mehr eine Beschäftigung für gelangweilte bürgerliche Hausfrauen, sondern stoffgewordene Möglich- und Fähigkeit, über die öffentlich gesprochen (respektive geschrieben) wird. Das Netz als Medium ermöglicht das weiträumige Teilen der eigenen kreativen Ideen, Problemlösungen, des eigenen Stils und Selbstbilds. Wer also einfach nur nähen wollen würde - der Schluss drängt sich mir auf - der bräuchte darüber nicht bloggen, sondern könnte dies auch weiterhin mit Freundinnen in der intimen Nährunde tun. Wer den Fuß ins Netz und damit in die Öffentlichkeit setzt, möchte kommunizieren, sich mitteilen, Feedback erhalten und damit ganz eindeutig in Kontakt treten. Das biedermeierhafte, stickende Frauchen unter der Lampe ist passé.
Und das ist, entgegen aller Kritik, die an bloggenden vermeintlichen "Hausfrauen-Hobby-Stricktanten" (oder welcher Klischeefigur auch immer sonst) geübt wird, durchaus etwas, das ich selbst als hochpolitisch empfinde. Darüber zu schreiben (gern auch bebildert), dass es möglich ist, Dinge tatsächlich selber zu machen, ist eine durchaus bedeutende Änderung.
Ich denke da immer gern an den abgewandelten Spruch "Home Sewing is Killing Fashion". Etwas selbst zu machen gibt die Macht darüber, wie dieses Etwas auszusehen hat, zurück in die Hände der oder des Machenden. Mit Selbermachen meine ich nicht etwa, aus dem Bastelladen gekaufte Fertig-Bastelkits zu etwas anderem zusammenzusetzen und es dann im Regal als Dekoartikel verstauben zu lassen. Ich meine damit, dass man wieder beginnt, sich die Welt passend zu machen, anstatt sich allem anzupassen. Selbermachen ist, ungeachtet der Tatsache, dass auch dafür (Roh-)Stoffe irgendwo her bezogen werden müssen, ein Akt des Tuns im Gegensatz zum rein passiven Konsumieren. Das ist der entscheidende Unterschied zwischen den zahllosen Fashion-Blogs und den zahllosen Selbermach-Blogs.
Das gilt natürlich nicht ausschließlich für das Selbermachen von Kleidern, sondern auch für jedes neu aufgeputzte Möbel vom Flohmarkt, jede selbstgestrichene Wand, jedes selbst reparierte Teil. Das ist nun wirklich alles andere als unpolitisch.
Man schneidert sich selbst auf den Leib, worüber zuvor nur die Kleidungsindustrie die Macht hatte. Es ist möglich, Kleider durch Änderungen eben doch wieder tragbar zu machen und umzufunktionieren und sie auf diese Weise der Wegwerf- und Neukauf-Kette, dieser wahnsinnigen Konsum- und Entsorgungsspirale zu entreißen. Es vermittelt Macht, das Machen, und Gestaltungsspielraum, und das ist nicht zu unterschätzen. Das schließt auch die Macht über das Selbst- und Erscheinungsbild von Frauen mit ein. Es ist auf einmal auch nicht mehr so wichtig, ob eine Frau Kleidergröße 36 oder 46 trägt. Die Frauen, die über sich schreiben und zeigen, was sie tragen, weichen in ihrem Erscheinungsbild erheblich von den schaufensterpuppenhaft wirkenden Dürrmodels ab, die uns in Modeketten-Katalogen ins Haus flattern und von Plakaten hohl anstarren. Die Bilder und Berichte der Selbermacherinnen sind Leben, nicht Ausstellung und Abziehbildchen.
Die Schneiderei, die einmal als eigenständiger Beruf große Beachtung erfuhr, ist in Zeiten der industriellen Massenfertigung zu Dumpinglöhnen Luxus für eine blasierte Upperclass, die es sich leisten kann, Maßgeschneidertes zu tragen. Die Schneiderei der Bloggenden dagegen wird belächelt als Betätigung für gelangweilte Hausfrauchen, die ihre Amateurkünste jetzt zwar nicht mehr kleinen Kreis vorführen, sondern öffentlich im Netz, sonst aber nicht weiter ernstgenommen werden müssen.
Jenseits davon gibt es etwas anderes, nämlich Selbstbewusstsein und Selbstbestimmung, die aus dem Selbermachen entspringen. Das ist noch recht neu und muss vermutlich erst ankommen. Auch dieser Tatbestand ist politisch. Es ist leicht, über Herzchenstoffe und Spitzenröckchen zu lachen. Aber das sind eigentlich nur Äußerlichkeiten. Selbermachblogs sind etwas Ermutigendes, auch wenn man nicht jeden Geschmack teilt. Sie überspringen die Schwelle vom Wünschen (und dessen vermeintliche Befriedigung durch den Konsum) zum wirksamen Können.
Es wäre wünschenswert, wenn auch die Männer dieses Gebiet mehr für sich reklamieren könnten und würden. Ein männlicher Nähblogger gilt immer noch als Exot, und auch Herr pastiz berichtete von einer Sondergenehmigung, die er vor langer Zeit für einen Kurs benötigte, um das Nähen lernen zu dürfen.
Dabei gilt es eigentlich nur, hervorzukramen, was in Talenten in uns verborgen liegt, und zwar jenseits von Wirtschafts- und Marktlogik ebenso wie von Geschlechterklischees. Auch mehr Hammer- und Nagel-Blogs wären willkommen, aus der Feder von Frauen wie Männern.
Weitermachen und drüber schreiben, unbedingt!
Arbeitsinhalt und Arbeitsweise Ihrer Angestellten müssen Sie nicht interessieren, wichtig ist nur, dass der Umsatz stimmt.
Stimmt der Umsatz nicht, dann machen Sie Druck, aber ändern Sie auf gar keinen Fall einmal eingeschliffene Prozesse.
Geben Sie nichts aus der Hand, suchen Sie keinen Rat, lassen Sie sich nichts sagen. Sie wirken beeindruckender, wenn man Ihnen zutraut, alles allein im Griff zu haben.
Springen Sie statt dessen auf Trends auf und setzen Sie Ihre ganze Hoffnung in fixe, bunte Ideen. Überdecken Sie Probleme mit Farbe und Enthusiasmus. Wirken Sie zeitgeistorientiert und schwungvoll.
Informieren Sie auf gar keinen Fall Ihre Angestellten über Ihre Pläne. Halten Sie Ihre eigenen Maßnahmen und Schritte so undurchsichtig wie möglich. Wer von nichts weiß, kann auch keine Einwände erheben oder gar Kritik üben.
Bleiben Sie auf keinen Fall länger als vierzehn Tage bei einmal gegebenen Anweisungen. Gewöhnung führt nur zu Langeweile und macht ihre Untergebenen schläfrig. Ändern Sie lieber regelmäßig grundlegend Ihre Konzepte.
Ignorieren Sie die Fachkompetenz Ihrer Angestellten insbesondere dann, wenn sie Ihnen unbequem erscheint. Stellen Sie lieber Leute ein, die Ihnen nach dem Bart reden, auch wenn sie keine Ahnung haben. Sie werden sich besser fühlen.
Suchen Sie sich in der Belegschaft einen Liebling. Statten Sie ihn oder sie mit weitreichenden Kompetenzen aus und geben Sie keinerlei Begründung dafür ab. Konkurrenz belebt das Geschäft, und Ihr Liebling wird mit seiner Vorbildfunktion den Rest der Angestellten motivieren.
Werfen Sie Leute sofort raus, die eigene Ideen entwickeln und Dinge aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Sie stiften ohnehin nur Unfrieden.
Ein gutes Betriebsklima wird überbewertet. Es ist nicht notwendig, dass Sie führen, vermitteln und koordinieren. An Sie herangetragene Beschwerden werden Sie am ehesten wieder los, wenn Sie den Schwarzen Peter verschieben oder im Zweifel mit Personalkürzungen oder anderen drastischen Maßnahmen drohen. Die Belegschaft wird sich dann schon wieder zusammenreißen.
Setzen Sie Deadlines grundsätzlich zu früh, am besten gestern, und teilen Sie Ihren Angestellten mit, dass jede Minute Überschreitung unvorstellbar hohe Kosten verursacht. Akzeptieren Sie auf gar keinen Fall Sachargumente, die die von Ihnen gesetzte Deadline nach hinten verschieben würden. Verlangen Sie das Unmögliche, denn Beschäftigte sind von Natur aus faul.
Überlassen Sie das Überbringen schlechter Nachrichten anderen. Sie als Chef brauchen sich mit so etwas nicht zu befassen. Dann müssen Sie sich auch von niemandem schief ansehen lassen.
Wenn es sich trotzdem nicht vermeiden lässt, unpopuläre Maßnahmen der Belegschaft mitzuteilen, betonen Sie nachdrücklich und wiederholt, wie hart auch Sie die Einschnitte treffen. Erzählen Sie, wie sehr sich Ihre Frau auf den fünften Urlaub in diesem Jahr gefreut hat, auf den Sie jetzt verzichten.
Wenn Probleme Überhand zu nehmen drohen, lenken Sie ab, indem Sie Nebensächlichkeiten in den Fokus rücken.
Beziehen Sie unbedingt Familienmitglieder in ihr Unternehmen ein, ungeachtet ihrer Fähigkeiten. Blut ist dicker als Wasser. Auch Freundschaftsbande sollten Ihnen wichtig sein. Eine Trennung von Privatem und Geschäftlichem ist nicht notwendig.
Beeindrucken Sie Ihre Angestellten mit ihrem Besitz, tragen Sie teure Kleidung und fahren Sie große Autos - ganz gleich, wie kritisch die Lage ist. Das Personal wird Ihnen nacheifern wollen und sich noch mehr anstrengen.
- Geben Sie unbedingt ab und an kostspielige Feste an besonderen Locations, gern auch mit Showeinlagen oder extravaganten Gimmicks. Sie täuschen effektiv über mangelnde Belobigungen und Gratifikationen, miese Löhne, Kürzungen und Streichungen hinweg und geben den Angestellten das Gefühl, Beschwerden seien unberechtigt.