Sturmflut
Von Schwere, Faulheit und der Gnade der Geburt im Frühling
Ich hasse meinen Wecker. Lange Zeit fiel es mir schwer genug, überhaupt zu schlafen. Grübeleien, Herzklopfen und Schmerz über das eigene Dasein verhinderten oft, dass ich ein Auge zutat. Der Griff zu einem Glas Wein, Gin Tonic oder Wodka hat in meiner Zeit des Alleinlebens schließlich die bösen Geister besänftigt. Nicht, dass ich damals die Übersicht gehabt hätte, um zu verstehen, dass ich das brauchte und warum.

Heute kann ich schlafen. Was für eine Gnade! Allerdings werde ich selten vor Mitternacht wirklich müde, was ein Problem darstellt, wenn man spätestens um halb sieben wieder raus muss. Wenn der Wecker klingelt, scheint es mir, dass ich mich gerade erst in mein warmes Nest gekuschelt habe, dass ich gerade erst begonnen habe, erholsam, ruhig und entspannt zu schlafen. Dann ist da dieses unbarmherzig piepende Monster, das sich alle fünf Minuten meldet und mir hämisch die Zeit zeigt.

Stehaufstehaufstehaufstehaufstehauf!! Losmachdufaulesau!!

In dieser Phase träume ich noch mal sehr intensiv, immer in Abschnitten, immer sehr bunt und absurd. Der Gatte ist schon längst aktiv und stellt das Haus auf den Kopf, meist recht lautstark, denn es besteht ja auch kein Anlass, auf meinen Schlaf Rücksicht zu nehmen. Aufstehen muss ich sowieso.

Ich kann aber nicht. Alles sträubt sich in mir. Es ist, als ob mich die Schwerkraft tiefer in die Kissen zieht und mich mit aller Macht daran zu hindern versucht, das Bett zu verlassen. Ein morgendlicher Kampf gegen Naturgewalten, der nur am Wochenende ausgesetzt wird. Ließe man mich nur eine, anderthalb Stunden länger, dann fiele das Aufstehen leicht und geschähe freiwillig.

Obwohl man heute weiß, wie es um das Schlaf- und Aufstehverhalten der Menschen bestellt ist und das auch nachweisen konnte, hält sich in meinem eigenen wie auch in den Köpfen anderer hartnäckig die Ansicht, ein Morgenmuffel zu sein und schlicht zu faul und undiszipliniert, um fristgerecht den Allerwertesten aus den Federn zu heben. Ebenso hartnäckig hält sich die Mär, die morgendlichen Schwierigkeiten ließen sich allein dadurch bewältigen, dass man sich ein bisschen zusammenreiße.

Was habe ich mir alles anhören dürfen deswegen. "Geh doch einfach früher schlafen!" ist nur ein wenig hilfreicher Ratschlag von vielen, und das funktioniert ganz einfach nicht. Ich habe nichts davon, mich um zehn Uhr abends ins Bett zu legen, das Licht auszumachen und zu beschließen, jetzt einfach mal zu schlafen. Es geht nicht. Ich ticke noch auf Hochtouren.

Mein Körper lässt sich nicht vom Wecker zum Aufwachen überreden. Morgens liege ich unter der Decke, eingemummelt bis zum Kinn. Sobald das unsägliche Ding piepst, schießt mein Arm unter der Decke hervor wie die Zunge eines fliegenfangenden Frosches, um in einer einzigen fließenden Bewegung den Schlummer-Knopf zu drücken, das Teil zum Schweigen zu bringen und dann wieder im Wohlig-Warmen zu verschwinden.

Ich habe alles probiert, um die Aufstehmotivation zu steigern. Den Wecker außerhalb meiner Komfortzone platziert, um mich dazu zu zwingen, den warmen Kokon zu verlassen. Was nur dazu führte, dass ich aufstand, das Teil stumm stellte und wieder unter die Decke schlüpfte. Den Schlummer-Rhythmus unterschiedlich eingestellt (ich habe es mit drei, fünf, zehn, zwanzig Minuten versucht). Die Weckzeit vor- und zurückverlegt. Beim ersten Piepsen das Licht angemacht, um die Melatoninproduktion zu drosseln. Etcetera, etcetera. Es funktioniert nicht.

Ich bin und bleibe eine Eule. Theorien besagen, möglicherweise läge es daran, dass ich eine Herbstgeborene bin und zu Beginn meines Lebens vorerst nur kurze Tage mit späten Morgenden erlebt habe. Dazu passt auch, dass der Gemahl im Frühjahr geboren und ein ausgesprochener Morgenmensch ist.

Die Stimme in meinem Inneren bemerkt allerdings voller Herablassung: "Was für eine lahme Ausrede für Deinen chronischen Mangel an Disziplin, Du faule Sau!" Letztlich halte ich es für ein Gerücht, das alles dem Willen unterworfen ist und man durch ausreichende Anstrengung eine Änderung herbeiführen kann. Aber das hilft mir wenig, vor allem im Bezug auf meine persönliche Verträglichkeit mit dem Lerchen-Rhythmus des Gatten - der früh einschläft und ebenso früh aufsteht, herumwuselt und schließlich aufbricht - und mit dem sauber getakteten Büroleben.

Ich ticke wohl einfach nicht richtig.