Sturmflut
Donnerstag, 22. September 2011
Georgia, Georgia...
Es war reichlich naiv, zu hoffen, dass irgend etwas noch die Wende hätte bringen können für Troy Davis. Trotzdem hofften wir. Dass es vergeblich war, überraschte mich nicht. Es schmerzt trotzdem, und es macht wütend.

Ich mache mir wenig Illusionen über Amerika. Trotzdem sollte man doch meinen, dass bei einer Umkehr der Beweislast vor Gericht (ein eklatanter, grundsätzlicher und willkürlicher juristischer Mangel!) und einem Mord, verübt von staatlicher Seite, mehr Menschen aufschreien würden. Vielleicht mache ich mir auch Illusionen über Menschen. Denn schließlich hat das Publikum gejubelt, als der widerliche Rick Perry verlauten ließ, er sei bereit in Kauf zu nehmen, dass auch mal ein Unschuldiger die Giftspritze erhalte, und wer nach Texas komme und einen Bürger des Staates umbringe, müsse mit der Todesstrafe rechnen.

Die perfide Freude in seinen Augen und der Jubel verursachen mir Übelkeit und machen mir Angst. Ebenso wie der Mord an Davis. Es geht um Rache. Es geht immer nur um Rache. Als sich heute nacht die Angehörigen Mark Allen MacPhails die Nasen an der Scheibe plattdrückten, als Troy Davis vor ihren Augen ermordet wurde, ging es um nichts anderes als Rache. Es stößt mir verdammt sauer auf, dass ein Staat, der Lynchjustiz offen praktiziert, es gleichzeitig wagt, sich Freiheit und Demokratie auf die Fahnen zu schreiben. Auch da mache ich mir schon seit Jahren nicht mehr die geringsten Illusionen, aber ich stelle fest, dass ich immer noch berührbar bin. Ich verachte sie zutiefst, diese abartige Kombination von Bigotterie, Menschenverachtung und Weltpolizei-Gehabe. Diese arrogante Anmaßung, über alles und jeden nach eigenem Ermessen richten zu dürfen - in den eigenen, vermuffelten Bundesstaaten, in denen noch Heugabelgesetze zu herrschen scheinen ebenso wie weltweit.

Bei uns kommt es auch noch so weit. Spätestens, wenn wir es nötig haben, aufgrund unserer allgemeinen Haltlosigkeit die Welt wieder rigoros in Gut und Böse, in uns selbst und andere einzuteilen. Spätestens, wenn die üblichen Verführer mit ihrem Geschwafel von mehr Sicherheit (und der Zukunft unserer Kinder) mehr Gehör finden. Spätestens, wenn die politische "Mitte" sabbernd und ohne nachzudenken die Parolen von rechts für sich adaptiert, weil es beim bildlesenden Volk so gut ankommt. Die entsprechende Geisteshaltung dräut schon am Horizont.

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