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Sonntag, 15. November 2009
"Feiglinge" und das Teddybär-Syndrom
Am 15. Nov 2009 im Topic 'Deckschrubben'
Letzte Woche starb ein Torhüter. Einer, dessen Gesicht doch so manchem, wenn auch längst nicht jedem bekannt war, trat vor einen fahrenden Zug und setzte auf diese Weise seinem Leben ein Ende. Dass es so weit kam, ist traurig. Verdammt traurig.
Heute durfte ich mir von einem Bekannten anhören, das sei doch schlicht und ergreifend feige gewesen. Das sei doch jemand, der sich "dem Leben nicht stellt"...
Alle Welt beurteilt jetzt diesen Menschen, und alle Welt meint es zu können. Die einen plädieren für "mehr Menschlichkeit im Fußball", die anderen meinen, man hätte genauer hinsehen müssen. Plötzlich hat der medial beteiligte Zuschauer auf alles eine Antwort.
Wer aber im Elend einer tiefen Depression Dinge zu hören bekommt wie "Reiß Dich doch zusammen!" oder "Kopf hoch, das wird schon wieder...!" oder weitere ähnliche Floskeln, der muss verzweifeln. Denn es ist für viele Menschen nicht so selbstverständlich, dass es "schon wieder wird". Und zeitgleich wird klar: Der Betrachter von außen kann nicht begreifen, wie es sich anfühlt, wenn man intensiv am eigenen Leib spürt, dass es keinen Ausweg mehr gibt.
Todessehnsucht spürt nur, wer weiß, dass er das Leben nicht mehr leben kann. Nicht dieses Leben, das so ist, wie es ist. Es ist so leicht für Außenstehende zu sagen, dass ein Depressiver nur darüber hätte reden müssen. Wenn er dafür verurteilt wird, es nicht getan zu haben, spürt man noch im Nachhall, wie wenig der Zustand der Depression akzeptiert und verstanden wird.
An die Stelle des Verstehens und Akzeptierens tritt kollektive Betroffenheit. Ob die nun "echt" ist oder nicht, sei dahingestellt. Massenweises Weinen im Stadion, das Aufstellen von Grablichtern, Teddybärchen und Trauerbriefchen schützt. Es schützt und behütet davor, einen unverstellten Blick auf das Geschehene zu werfen. Die Frage "Warum?" bleibt oberflächlich.
Was ist denn eigentlich geschehen? Jemand hat sich das Leben genommen. Das geschieht oft und hat so häufig mit Depression zu tun. Wäre es ein arbeitsloser Jugendlicher gewesen, eine traurige Hausfrau oder ein vereinsamter alter Mensch, dann hätte das keine Stadien gefüllt. Das würde (und wird) lediglich verbucht als etwas, das nun einmal geschieht, das wir aber nicht verstehen, denn "er/sie hatte ja eigentlich gar keinen Grund". Aber wer sich das Leben nimmt, hat einen Grund, das wird so gern übersehen.
Die Mehrheit der Menschen hat wohl Angst, diesen Gründen ins Auge zu blicken. Genau wie nach Amokläufen oder anderen Gewalttaten auch wird zwar fleißig geteddybärt und gegrablichtert. Dahinter tritt aber zurück, was der Mensch nicht sehen will: Dass wir eine dunkle, eine irrationale Seite haben. Und zwar wir alle. Dass wir die Umstände nicht kalkulieren können, die uns in eine Depression stürzen. Oder in die Aussichtslosigkeit. Oder in unbegründbare Aggression. Allenfalls haben wir eine Ahnung, aber viel lieber wollen wir nicht sehen, was in anderen Menschen (und damit auch in uns) geschieht.
Diese mangelnde Akzeptanz, dieses Nicht-Sehen-Wollen ist das, was spürbar ist. Auch oder gerade weil es nicht ausgesprochen wird. Für Depressive vielleicht noch mehr als für andere. Das intensive, untrügliche Gefühl, unwert, nicht akzeptabel, nicht aushaltbar zu sein ist das, was einen Menschen schließlich in den Abgrund stürzen kann. Wenn jemand fühlt, dass er mit seiner unerklärlichen Innenwelt (oder auch Gefühlsleere) zu einem blinden Fleck auf der gesellschaftlichen und sozialen Landkarte wird und zu etwas, das es auszublenden gilt, dann ist der Schluss nicht mehr so fern, schließlich wirklich zu verschwinden. Einen Schritt vor den Zug zu machen. Das Lenkrad loszulassen, nachts auf der Straße. Zu springen.
Mitnichten ist das feige - nicht einmal im Ansatz. Es ist nur die Konsequenz von Umständen, die einen Menschen in all seiner Persönlichkeit ersticken, negieren können.
Der Mensch schafft sich Distanz von Leuten wie dem Torhüter. Nach offizieller Solidarität, nach den Beileidsbekundungen und dem Begräbnis ist ein jeder für sich wieder heilfroh, ganz "normal" zu sein. Es ist eben einfacher, sich einzureden, das Leben und die eigene Seele sei berechenbar.
Meine Musik des Tages:
Alexi Murdoch - Song For You
"Zuerst kommt, was die Leute hören wollen. Dann kommt, was die Leute glauben wollen. Dann kommt ganz lange nichts. Und dann kommt die Wahrheit!" - Aus dem Film "The International"
Heute durfte ich mir von einem Bekannten anhören, das sei doch schlicht und ergreifend feige gewesen. Das sei doch jemand, der sich "dem Leben nicht stellt"...
Alle Welt beurteilt jetzt diesen Menschen, und alle Welt meint es zu können. Die einen plädieren für "mehr Menschlichkeit im Fußball", die anderen meinen, man hätte genauer hinsehen müssen. Plötzlich hat der medial beteiligte Zuschauer auf alles eine Antwort.
Wer aber im Elend einer tiefen Depression Dinge zu hören bekommt wie "Reiß Dich doch zusammen!" oder "Kopf hoch, das wird schon wieder...!" oder weitere ähnliche Floskeln, der muss verzweifeln. Denn es ist für viele Menschen nicht so selbstverständlich, dass es "schon wieder wird". Und zeitgleich wird klar: Der Betrachter von außen kann nicht begreifen, wie es sich anfühlt, wenn man intensiv am eigenen Leib spürt, dass es keinen Ausweg mehr gibt.
Todessehnsucht spürt nur, wer weiß, dass er das Leben nicht mehr leben kann. Nicht dieses Leben, das so ist, wie es ist. Es ist so leicht für Außenstehende zu sagen, dass ein Depressiver nur darüber hätte reden müssen. Wenn er dafür verurteilt wird, es nicht getan zu haben, spürt man noch im Nachhall, wie wenig der Zustand der Depression akzeptiert und verstanden wird.
An die Stelle des Verstehens und Akzeptierens tritt kollektive Betroffenheit. Ob die nun "echt" ist oder nicht, sei dahingestellt. Massenweises Weinen im Stadion, das Aufstellen von Grablichtern, Teddybärchen und Trauerbriefchen schützt. Es schützt und behütet davor, einen unverstellten Blick auf das Geschehene zu werfen. Die Frage "Warum?" bleibt oberflächlich.
Was ist denn eigentlich geschehen? Jemand hat sich das Leben genommen. Das geschieht oft und hat so häufig mit Depression zu tun. Wäre es ein arbeitsloser Jugendlicher gewesen, eine traurige Hausfrau oder ein vereinsamter alter Mensch, dann hätte das keine Stadien gefüllt. Das würde (und wird) lediglich verbucht als etwas, das nun einmal geschieht, das wir aber nicht verstehen, denn "er/sie hatte ja eigentlich gar keinen Grund". Aber wer sich das Leben nimmt, hat einen Grund, das wird so gern übersehen.
Die Mehrheit der Menschen hat wohl Angst, diesen Gründen ins Auge zu blicken. Genau wie nach Amokläufen oder anderen Gewalttaten auch wird zwar fleißig geteddybärt und gegrablichtert. Dahinter tritt aber zurück, was der Mensch nicht sehen will: Dass wir eine dunkle, eine irrationale Seite haben. Und zwar wir alle. Dass wir die Umstände nicht kalkulieren können, die uns in eine Depression stürzen. Oder in die Aussichtslosigkeit. Oder in unbegründbare Aggression. Allenfalls haben wir eine Ahnung, aber viel lieber wollen wir nicht sehen, was in anderen Menschen (und damit auch in uns) geschieht.
Diese mangelnde Akzeptanz, dieses Nicht-Sehen-Wollen ist das, was spürbar ist. Auch oder gerade weil es nicht ausgesprochen wird. Für Depressive vielleicht noch mehr als für andere. Das intensive, untrügliche Gefühl, unwert, nicht akzeptabel, nicht aushaltbar zu sein ist das, was einen Menschen schließlich in den Abgrund stürzen kann. Wenn jemand fühlt, dass er mit seiner unerklärlichen Innenwelt (oder auch Gefühlsleere) zu einem blinden Fleck auf der gesellschaftlichen und sozialen Landkarte wird und zu etwas, das es auszublenden gilt, dann ist der Schluss nicht mehr so fern, schließlich wirklich zu verschwinden. Einen Schritt vor den Zug zu machen. Das Lenkrad loszulassen, nachts auf der Straße. Zu springen.
Mitnichten ist das feige - nicht einmal im Ansatz. Es ist nur die Konsequenz von Umständen, die einen Menschen in all seiner Persönlichkeit ersticken, negieren können.
Der Mensch schafft sich Distanz von Leuten wie dem Torhüter. Nach offizieller Solidarität, nach den Beileidsbekundungen und dem Begräbnis ist ein jeder für sich wieder heilfroh, ganz "normal" zu sein. Es ist eben einfacher, sich einzureden, das Leben und die eigene Seele sei berechenbar.
Meine Musik des Tages:
Alexi Murdoch - Song For You
"Zuerst kommt, was die Leute hören wollen. Dann kommt, was die Leute glauben wollen. Dann kommt ganz lange nichts. Und dann kommt die Wahrheit!" - Aus dem Film "The International"
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