Sturmflut
Montag, 23. November 2009
Glaubensfragen
Im Ohr heute habe ich (und deswegen ist es auch meine Musik des Tages) den wunderbaren Titel "Belief" von John Mayer.

Er spricht mir aus dem Herzen, wenn er feststellt "Everyone believes, from emptiness to everything..." Das ist wohl so, keiner kann sich wirklich hundertprozentig davon freisprechen, an irgendwas zu glauben. Manche glauben an Gerechtigkeit, andere an die Demokratie, wieder andere an den Zusammenhalt der Familie, die menschliche Vernunft oder das Fliegende Spaghetti-Monster. Einige glauben an Gott, andere an Jahwe und wieder andere an Allah.

Glaube ist etwas, über das sich schwer streiten lässt, und dennoch würde ich es manchmal gern. Aber ich weiß auch, dass ein Streit über Glauben keine Früchte tragen würde. Ich wäre nichts besser als der fanatischste Glaubensverfechter selbst, wenn ich darauf beharren würde, sein Glaube sei nichts, und das, was ich ihm entgegenzusetzen habe, alles.

Dennoch, wenn mir eines gewaltig zum Halse heraushängt, dann ist es der missionarische Eifer und das starre, dogmatische Denken von Gut und Böse, von Richtig und Falsch, das bei so vielen gottgläubigen Menschen leider erkennbar ist. Es scheint für so manchen Gläubigen nichts wichtigeres zu geben, als die eigene Glaubenswelt als glühendes Beispiel für den richtigen Weg allen Andersdenkenden und -fühlenden entgegenzuschleudern.

Mich ficht das in meiner eigenen Haltung weniger an. Ich habe mir einen gewissen Relativismus im Bezug auf viele Dinge ohnehin schon angeeignet - zumindest aber in soweit, als dass nicht meine eigenen "Wahrheiten" für andere Menschen gültig sein müssen. Alles, was ich zu sagen habe, fußt auf meiner persönlichen Erfahrung. Daraus ableiten kann ich auch, dass die persönlichen Erfahrungen anderer nicht für mich gültig sein müssen - es aber durchaus noch werden könnten. Oder eben auch nicht.

Was ist aber mit denen, die das System von Sündigkeit und Strafe, von rechtem und falschem Leben internalisiert haben? Wenn nun jemand daherkommt und großspurig verkündet "Ohne Jesus ist alles nichts!" oder "Wem es schlecht geht, der hat nur noch nicht genügend gelernt, auf Gott/die Bibel/Jesus Christus zu vertrauen!!", kann das entsprechend erzogene Menschen in abgrundtiefe Löcher ziehen und sie davon überzeugen, nichtswürdig zu sein und ihr Elend verdient zu haben. Das ist grausam und unmenschlich.

Schön, wenn jemand mit seligem Lächeln bezeugen kann, die Gegenwart Gottes erfahren zu haben. Weniger schön, wenn jemand im Brustton der Überzeugung kundtut, dies sei die einzige aller möglichen Formen der Erlösung, und Erlösung sei der einzig anzustrebende Sinn, und Sinn sei nur in Gott zu finden, und Gott sei nur der Gott, wie er ihn auffasse... In der Tat ist auch ein Disput mit einem solchen Fanatiker absolut unfruchtbar. Schließlich kennt er die Wahrheit schon.

Wo ist die Gelassenheit, die eigentlich einhergehen könnte mit der Erkenntnis einer persönlichen Wahrheit? Warum nur müssen zwanghaft auch alle anderen davon überzeugt werden, als verlöre man diese eigene Wahrheit allein dadurch, dass man sie für sich behält und bisweilen mal mit guten Freunden diskutiert? Wie vermessen zu meinen, eine einzige Wahrheit könnte für 6,8 Milliarden Menschen gelten, die sich nichtmal immer mit sich selbst einig sind.

Ich finde es nicht im Geringsten göttlich, auf diese Art zu eifern - es ist zutiefst menschlich. Wäre der Mensch nicht so ein gefährliches Tier, könnte ich das sogar so akzeptieren.

Meine Musik des Tages:
John Mayer - Belief

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