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Mittwoch, 23. März 2011
Verweigerung
Am 23. Mär 2011 im Topic 'Tiefseetauchen'
Der Begriff "Leistung" bringt mich innerlich auf die Palme. Noch mehr das Wort "leistungsbereite Kinder", denn diese scheinen in der heutigen Ellenbogen- und Konkurrenzgesellschaft das Zuchtziel vieler Eltern zu sein. Und wenn das noch nicht der Fall ist, dann spätestens, wenn irgendwelche selbsternannten Experten oder Tigermütter dies proklamieren. Dann schlägt das schlechte Gewissen zu, und das Kind wird gnadenlos zum "Early English" geprügelt, oder besser noch, zum Chinesischkurs. Schließlich dräut am Horizont ein elendes, verwahrlostes Leben mit Harz IV, wenn das Kind schon im Kindergarten keine angemessene Leistungsbereitschaft aufweist. Dabei geht es doch eigentlich eher um die Selbstverwirklichung der Eltern, nicht um die der Kinder.
Gestern verschlug es mich (wie so oft in eigener Sache) in die entsprechende Abteilung der Bibliothek, und ich stand mehr oder weniger fassungslos vor den Buchrücken, die sich mit Titeln schmückten wie "Garantiert auf's Gymnasium", "Ist mein Kind hochbegabt?" und "Null Bock auf Lernen? So fördern Eltern die schulische Leistung ihrer Kinder". Gesucht hatte ich nach einem Schriftstück, das mir die Entstehung und Ursachen von sogenannten Lernschwierigkeiten aus psychologischer Perspektive genauer erläutern könnte - Fehlanzeige. Statt dessen haufenweise Traktate, die besorgte beziehungsweise ehrgeizige Eltern dazu befähigen sollten, den Nachwuchs zum erwünschten Lernerfolg zu bringen. Nicht, dass ich Lernerfolg per se verwerflich finde. Lernen kann Spaß machen, und erfolgreich zu sein ist immer schöner, als wie der Ochs vor'm Berg zu sitzen. Aber ich habe genug eigene Erfahrungen in diesem Sektor gemacht, um zu wissen, wie sich Druck auf das ganze spätere Leben auswirkt und dass es beileibe nicht immer der holde Wunsch nach dem kindlichen Glück ist, der die Eltern treibt. Vielleicht bin ich deshalb bei diesem Thema auf Krawall gebürstet.
Ich war nie schlecht in der Schule. Außer vereinzelten Fünfen in Randbereichen wie Physik und Chemie (und ich glaube einer einzelnen Sechs) habe ich mich ganz gut gehalten. Dennoch gab es Phasen, in denen ich aus dem gewünschten Rahmen abrutschte in nurmehr ausreichende Gefilde, was man denn auch treffend als Leistungsabfall wahrnahm, aber nicht weiter nach den Ursachen forschte. "Du bist doch nicht dumm!" war die Hauptaussage meiner Mutter, und manchmal klang sie sogar eher fragend. "Ich habe eingesehen, dass es besser ist, zu lernen!" schrieb ich als Mädchen in mein Tagebuch - so als sei das eine Frage von vernunftsmäßiger Einsicht. Wenn ich nun tatsächlich nicht dumm war, wie meine Mutter mutmaßte, dann blieb nur noch die Variante mit der Faulheit. Ich strengte mich wohl einfach nicht genug an. Auf mich prasselten Fragen und Phrasen ein. "Wie willst Du das denn schaffen?" "Wieso hast Du Dich nicht hingesetzt und was dafür getan?" "Willst Du Nachhilfe?" "Reiß Dich doch mal zusammen!" Und am schönsten: "Werd bloß nicht so wie Dein Onkel! Der war auch nur faul, der hätte auch gekonnt, wenn er gewollt hätte!"
Was ich daraus mitgenommen habe, war die folgende Grundbotschaft:
"Wenn es schiefgeht, bist Du selbst Schuld, weil Du Dich nicht genug angestrengt hast. Wenn es gut läuft, war es schieres Glück. Oder der Stoff war leicht. Jedenfalls hast Du das nicht verdient. Und es hätte noch besser laufen können, wenn Du noch mehr dafür getan hättest."
Als ich im Studium meine Zwischenprüfung absolviert hatte (nach 20 Sitzungen mit dem universitätseigenen Psychologen wegen meiner Prüfungsangst) und meine Profs mir in Politologie eine glatte 1 gaben, erzählte ich meinen Eltern nichts davon. Statt dessen fragte ich mich, ob ich diese Benotung denn wohl verdient hätte oder ob sie mir nicht aus reiner Sympathie geschenkt worden war.
An meinem Abschluss kaue ich noch immer - ich bin und bleibe die ewige Studentin. Neulich las ich erstmalig vom "self-handicapping". Laut Wikipedia kurz zusammengefasst: "Self-handicapping is described as an action or choice which prevents a person from being responsible for failure." Für mich bedeutet das: Ich sabotiere mich selbst, indem ich gar nicht erst versuche, eine Leistung zu erbringen. Denn egal, ob ich die Herausforderung meistern würde oder nicht, ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass das Ergebnis "failure" sein wird, und das verkraftet mein Selbstbewusstsein nicht. Die Verweigerung, die mein Inneres leistet, ist ein Schutz vor längst vergangenen Abwertungen. Dieser Teil in mir sagt: Verantwortung für meine Fehlerhaftigkeit und mein Versagen (die in diesem Fall noch nicht einmal feststehen!) kann ich nicht übernehmen, weil ich mit dieser Fehlerhaftigkeit nicht leben könnte. Denn wer Fehler macht, den liebt man nicht. Nur wer leistet, wird dafür auch geliebt. Und bevor ich's riskiere, bleibe ich doch lieber auf der sicheren Seite... Dass dieses Verharren und Verweigern in sich schon ein Scheitern ist, trägt nicht zur Auflösung des Dilemmas bei, sondern verstärkt es eher noch. Denn nicht einmal versuchen kann ich es. Sogar dazu bin ich zu doof. Und los geht die Talfahrt in der depressiven Spirale.
Reines Verstehen war für mich immer der Anfang von Veränderung. Und ich beginne langsam zu begreifen, was meine Seele für Kapriolen geschlagen hat und noch schlägt, und warum das so ist. Das sind keine Manöver, die ich mir aus Bequemlichkeit ausdenke, keine Indizien für meine Inkompetenz und Faulheit. Es sind sehr clevere Strategien, die darauf abzielen, den inneren Kern nicht der völligen Infragestellung und Auflösung preiszugeben. Das ist logisch, denn andernfalls hätte ich mich vollkommen aufgeben müssen. Ich bin heute erstaunt darüber, was ich dennoch in der Schule geleistet habe, angesichts all der täglichen Angst und dem Druck und dem, was sonst noch geschah, außerhalb der Schule. Stolz auf diese Leistungen muss ich erst noch lernen. Denn ein Teil von mir sagt auch heute noch "Ich mach' noch lange nicht, was IHR wollt!", und genau das ist Leistung für mich: Was SIE wollen. Ich selbst will Wollen erst lernen. Geliebt werde ich inzwischen ohne Leistung (und lerne, diese Liebe anzunehmen). Vielleicht macht mich das frei dafür, das Erreichte auch wirklich anzuerkennen und zu genießen.
In den Referrers zu diesem Blog findet sich immer allerhand Spannendes, besonders im Bezug auf das Thema "Darf man Kinder schlagen?" Darin fand ich jüngst auch die gegoogelte Frage: "was machen wenn man von eltern geschlagen wird nur wegen schlechte schulnoten?" Ja, was machen?
Gestern verschlug es mich (wie so oft in eigener Sache) in die entsprechende Abteilung der Bibliothek, und ich stand mehr oder weniger fassungslos vor den Buchrücken, die sich mit Titeln schmückten wie "Garantiert auf's Gymnasium", "Ist mein Kind hochbegabt?" und "Null Bock auf Lernen? So fördern Eltern die schulische Leistung ihrer Kinder". Gesucht hatte ich nach einem Schriftstück, das mir die Entstehung und Ursachen von sogenannten Lernschwierigkeiten aus psychologischer Perspektive genauer erläutern könnte - Fehlanzeige. Statt dessen haufenweise Traktate, die besorgte beziehungsweise ehrgeizige Eltern dazu befähigen sollten, den Nachwuchs zum erwünschten Lernerfolg zu bringen. Nicht, dass ich Lernerfolg per se verwerflich finde. Lernen kann Spaß machen, und erfolgreich zu sein ist immer schöner, als wie der Ochs vor'm Berg zu sitzen. Aber ich habe genug eigene Erfahrungen in diesem Sektor gemacht, um zu wissen, wie sich Druck auf das ganze spätere Leben auswirkt und dass es beileibe nicht immer der holde Wunsch nach dem kindlichen Glück ist, der die Eltern treibt. Vielleicht bin ich deshalb bei diesem Thema auf Krawall gebürstet.
Ich war nie schlecht in der Schule. Außer vereinzelten Fünfen in Randbereichen wie Physik und Chemie (und ich glaube einer einzelnen Sechs) habe ich mich ganz gut gehalten. Dennoch gab es Phasen, in denen ich aus dem gewünschten Rahmen abrutschte in nurmehr ausreichende Gefilde, was man denn auch treffend als Leistungsabfall wahrnahm, aber nicht weiter nach den Ursachen forschte. "Du bist doch nicht dumm!" war die Hauptaussage meiner Mutter, und manchmal klang sie sogar eher fragend. "Ich habe eingesehen, dass es besser ist, zu lernen!" schrieb ich als Mädchen in mein Tagebuch - so als sei das eine Frage von vernunftsmäßiger Einsicht. Wenn ich nun tatsächlich nicht dumm war, wie meine Mutter mutmaßte, dann blieb nur noch die Variante mit der Faulheit. Ich strengte mich wohl einfach nicht genug an. Auf mich prasselten Fragen und Phrasen ein. "Wie willst Du das denn schaffen?" "Wieso hast Du Dich nicht hingesetzt und was dafür getan?" "Willst Du Nachhilfe?" "Reiß Dich doch mal zusammen!" Und am schönsten: "Werd bloß nicht so wie Dein Onkel! Der war auch nur faul, der hätte auch gekonnt, wenn er gewollt hätte!"
Was ich daraus mitgenommen habe, war die folgende Grundbotschaft:
"Wenn es schiefgeht, bist Du selbst Schuld, weil Du Dich nicht genug angestrengt hast. Wenn es gut läuft, war es schieres Glück. Oder der Stoff war leicht. Jedenfalls hast Du das nicht verdient. Und es hätte noch besser laufen können, wenn Du noch mehr dafür getan hättest."
Als ich im Studium meine Zwischenprüfung absolviert hatte (nach 20 Sitzungen mit dem universitätseigenen Psychologen wegen meiner Prüfungsangst) und meine Profs mir in Politologie eine glatte 1 gaben, erzählte ich meinen Eltern nichts davon. Statt dessen fragte ich mich, ob ich diese Benotung denn wohl verdient hätte oder ob sie mir nicht aus reiner Sympathie geschenkt worden war.
An meinem Abschluss kaue ich noch immer - ich bin und bleibe die ewige Studentin. Neulich las ich erstmalig vom "self-handicapping". Laut Wikipedia kurz zusammengefasst: "Self-handicapping is described as an action or choice which prevents a person from being responsible for failure." Für mich bedeutet das: Ich sabotiere mich selbst, indem ich gar nicht erst versuche, eine Leistung zu erbringen. Denn egal, ob ich die Herausforderung meistern würde oder nicht, ich bin auf jeden Fall davon überzeugt, dass das Ergebnis "failure" sein wird, und das verkraftet mein Selbstbewusstsein nicht. Die Verweigerung, die mein Inneres leistet, ist ein Schutz vor längst vergangenen Abwertungen. Dieser Teil in mir sagt: Verantwortung für meine Fehlerhaftigkeit und mein Versagen (die in diesem Fall noch nicht einmal feststehen!) kann ich nicht übernehmen, weil ich mit dieser Fehlerhaftigkeit nicht leben könnte. Denn wer Fehler macht, den liebt man nicht. Nur wer leistet, wird dafür auch geliebt. Und bevor ich's riskiere, bleibe ich doch lieber auf der sicheren Seite... Dass dieses Verharren und Verweigern in sich schon ein Scheitern ist, trägt nicht zur Auflösung des Dilemmas bei, sondern verstärkt es eher noch. Denn nicht einmal versuchen kann ich es. Sogar dazu bin ich zu doof. Und los geht die Talfahrt in der depressiven Spirale.
Reines Verstehen war für mich immer der Anfang von Veränderung. Und ich beginne langsam zu begreifen, was meine Seele für Kapriolen geschlagen hat und noch schlägt, und warum das so ist. Das sind keine Manöver, die ich mir aus Bequemlichkeit ausdenke, keine Indizien für meine Inkompetenz und Faulheit. Es sind sehr clevere Strategien, die darauf abzielen, den inneren Kern nicht der völligen Infragestellung und Auflösung preiszugeben. Das ist logisch, denn andernfalls hätte ich mich vollkommen aufgeben müssen. Ich bin heute erstaunt darüber, was ich dennoch in der Schule geleistet habe, angesichts all der täglichen Angst und dem Druck und dem, was sonst noch geschah, außerhalb der Schule. Stolz auf diese Leistungen muss ich erst noch lernen. Denn ein Teil von mir sagt auch heute noch "Ich mach' noch lange nicht, was IHR wollt!", und genau das ist Leistung für mich: Was SIE wollen. Ich selbst will Wollen erst lernen. Geliebt werde ich inzwischen ohne Leistung (und lerne, diese Liebe anzunehmen). Vielleicht macht mich das frei dafür, das Erreichte auch wirklich anzuerkennen und zu genießen.
In den Referrers zu diesem Blog findet sich immer allerhand Spannendes, besonders im Bezug auf das Thema "Darf man Kinder schlagen?" Darin fand ich jüngst auch die gegoogelte Frage: "was machen wenn man von eltern geschlagen wird nur wegen schlechte schulnoten?" Ja, was machen?
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