Sturmflut
Sonntag, 3. April 2011
Luxusproblemchen
Frau von der Leyen und Frau Schröder wollen mehr "Frauen in Führungspositionen". Da stehen sie, gemeinsam mit daxnotierten Unternehmern für's Foto posierend, kompetent und kostümiert, strahlend und innovativ. Ich kriege schon beim Anblick dieser beiden Witzfiguren das kalte Kotzen.

"Mehr Frauen in Führungspositionen!" - ehrlich, wenn ich diesen Slogan schon höre! Er ist so abgedroschen, so sehr darauf angelegt, nach außen zu demonstrieren, wie sehr man sich angeblich für die Gleichberechtigung einsetze, er ist so sehr Makulatur. Kein Wunder, dass aus demselben Stall auch schon das Internet-Stoppschild gegen Kinderpornografie kam, mit dem man dann so scheinheilig vorführen konnte, wie sehr man sich um das "Wohl" der Kinder sorgt, ohne wirklich an den Grundlagen rühren zu müssen. Damit dann der Eindruck entsteht, man meine es auch wirklich ernst, droht man der Wirtschaft noch mal schnell mit einer Quote. Die die Wirtschaft selbstredend ablehnen muss.

Aber selbst, wenn sie es wollte, ist immer noch die Frage, ob sich überhaupt genügend Frauen auf Führungspositionen bewerben würden und ob sie in der Lage und willens wären, diese auch auszufüllen. Das Buzzword "Führungsposition" entstammt einer Wirtschafts- und Arbeitskultur, die sich ohne es selbst zu wissen zunehmend überlebt - wenn auch nicht bezifferbar, so doch spürbar. Man wundert sich über den Anstieg von Burn-Out-Fällen, über die vielzitierten abwesenden Väter, man wundert sich über Raffgier und Workaholismus im Management gleichermaßen, und man wundert sich doch tatsächlich hierzulande auch, dass Frauen nicht in höheren Maße "Führungspositionen" einnehmen.

Dabei ist das gar nicht so verwunderlich. Die Frauen haben in diesem konkreten Fall einen entscheidenden Vorteil: Sie sind per Rollendefinition nicht festgelegt darauf, sich in einer solchen Ellenbogenkultur durchsetzen zu müssen. Sie können jederzeit auch normale Jobs ohne Kampf und Krampf annehmen, ohne dafür als Weicheier betrachtet zu werden. Sie haben die Sicherheit im Rücken, die den Männern fehlt. Es kratzt bei weitem nicht so sehr an ihrem Selbstbild, wenn sie mit Mitte 30 noch keinen Managementposten irgendwo errungen haben, und sie werden weniger oft gefragt: "Sag mal, wo willst Du denn eigentlich in zehn Jahren stehen? Wie viele Stellen sollte Dein Jahresgehalt aufweisen? Wieviele Untergebene willst Du haben? Was für einen Posten willst Du bekleiden?"

Es gibt viele gute Gründe, sich diese nervenzerreißende Tretmühle nicht anzutun, und meiner Meinung nach sind die Gründe für Männer wie für Frauen dieselben. Es ist das Treten, Strampeln und Beißen, das man auf dem Weg nach oben zu leisten hat, das abendliche "Schatz, es tut mir sooo Leid, aber ich muss noch mal kurz...", das ständige zur Verfügung stehen, das totale "Engagement". Denn wer nur ein einziges Mal blinzelt und Schwäche erkennen lässt, wer nur ein einziges Mal lieber beim Kind am Krankenbett sitzt oder den Meditationskurs nach Feierabend für wichtiger hält als endloses, männerbündisches Karrieregeschwafel mit dem Chef im Spitzenrestaurant, der ist raus. Der hatte einfach nicht genug Biss, der hatte kein Durchsetzungsvermögen, kein ausreichendes Interesse an Job und Unternehmen, nicht genügend Flexibilität. Wer sich ein einziges Mal berührt und verletzt zeigt vom rüden, konkurrenzgeprägten Unterton der oberen Etagen, wer sich emotional gibt und seine Berührbarkeit nicht aufgeben mag, der scheitert in diesem lebensfeindlichen Umfeld. Eine solche Arbeitsumwelt fordert vom Individuum, vollkommen in diesem System aufzugehen, sie entmenschlicht, überfordert, bedrängt und bedroht mit Selbstverlust.

Möglich, dass die Frauen das instinktiv spüren und sich bei allem Fachinteresse doch lieber aus solchen Maschinerien heraushalten. Möglich auch, dass viele Männer das instinktiv spüren, aber keinen Weg sehen, der totalen Vereinzelung und Verwertung zu entgehen, weil sie per Rollendefinition auf das toughe Alphamännchen-Verhalten festgelegt sind und sich eher bis zur totalen Erschöpfung auspowern, anstatt der Ehefrau zu hause irgendwann mitzuteilen, dass sie zukünftig auf einen Tausender im Monat zu verzichten hat und - was nicht im mindesten geringer zu bewerten ist - auf das Prestige, das damit einhergeht, wenn er einen tollen Posten bekleidet.

"Wenn Ihr nicht werdet wie die Männer...", mit diesem Halbsatz könnte man die unterschwellig drohende Botschaft von von der Leyen und Schröder an die Frauen vielleicht am besten umschreiben. Denn auch alle Quote bringt nichts, wenn es nicht auch Personen gibt, die sie ausfüllen möchten. Ich glaube, das viele der hochqualifizierten jungen Frauen gern bereit wären, ihr Wissen und Können später im Beruf auch einzusetzen, aber ich könnte mir vorstellen, dass sie wirklich sehr sorgfältig abwägen und sich immer wieder fragen: "Möchte ich das? Nur noch arbeiten, sonst nichts mehr sein, keinen Raum mehr haben für andere wichtige Dinge?" Dazu neigt unsere kapitalistische Gesellschaft: Den Menschen zu reduzieren auf seine Funktion als Produzent und Konsument. Dabei sind Menschen - Männer wie Frauen - so viel mehr. Statt dessen aber sollen nach Vorstellung der zuständigen Politikerinnen mehr Frauen antreten mit schultergepolstertem Kostüm und Aktentasche, arbeitsuniformiert, und sich einreihen in das, was Angehörige anderen Geschlechts schon längst kaputt macht, auch wenn das wohl die wenigsten wirklich freimütig zugeben würden. Ich bin weit davon entfernt, den Frauen pauschal die zarte, sozial kompetente Seite zuzuschreiben, und noch weiter entfernt von der Illusion, Frauen könnten möglicherweise durch ihren Einzug in die besagten "Führungspositionen" die Wirtschaftswelt menschlicher machen. Wenn einer einen Gegenbeweis liefert, so in zehn, zwanzig Jahren vielleicht, dann revidiere ich meine Meinung gern. Ich denke aber, dass flachere Hierarchien, mehr horizontale Kommunikation und "weibliche" Weichheit dem Kapitalismus schlicht nicht entsprechen.

Wir haben doch nun wirklich andere Probleme als die Besetzung der "Führungspositionen" mit Frauen. So lange Frauen in diesem Land ein schlechtes Gewissen gemacht wird, wenn sie ihr Kind in eine Betreuung geben (falls sie denn eine bezahlbare finden), sind wir von Gleichberechtigung weit entfernt. So lange es das schräge Ehegattensplitting gibt, sind wir weit entfernt. So lange es Männern nicht möglich ist, sich um Familie zu kümmern, sind wir weit entfernt. So lange es Frauen nicht möglich ist, sich ohne angefeindet zu werden gegen Familie zu entscheiden, sind wir weit entfernt. So lange es Mädchen gibt, die als vorrangigen Berufswunsch "Luxusluder" oder "It-Girl" angeben, sind wir weit entfernt. So lange Frauen eklatant weniger verdienen als Männer und die auch emotional aufreibenden Jobs machen (z.B. in der Kranken- oder Altenpflege), sind wir weit entfernt. Bleibt mir doch weg mit den blöden "Führungspositionen"...!!

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