Sturmflut
Samstag, 5. März 2011
Asche zu Asche...
Manchmal ziehen Stunden ins Land, wenn ich vor dem Rechner sitze und bei Wikipedia Link um Link folge... Ich komme sozusagen vom "Höcksken aufs Stöcksken", wie man hierzulande gern sagt. Startpunkt war der Artikel unter dem Stichwort "Wachsleiche", denn ich hatte gestern eine interessante Reportage in 3sat über den mutmaßlichen Leichnam Rosa Luxemburgs gesehen, der sich als ebensolche in der Berliner Rechtsmedizin befand und dort lange als Anschauungsstück hinter Glas lag. Neugierig, wie es zu so einer Verwächserung kommt, schlug ich also nach.

Den Verlinkungen folgend stieß ich auf süddeutsche Friedhofsprobleme und von dort alsbald auf die recht restriktive Friedhofsordnung, die deutschlandweit beispielsweise verbietet, Urnen mit der Asche Verstorbener mit nach hause zu nehmen und dort auf den Kaminsims zu stellen.

Mit dem Herrn Gemahl habe ich schon oft über das eigene Ableben gesprochen und daher kam auch die Rede auf Bestattungswünsche. Es wäre nett, so dachten wir uns beide, wenn man sich in Rauch und Asche auflösen ließe. Noch netter, wenn die hinterher irgendwo verstreut würde, am besten an einem Platz, den wir beide lieben. So kamen wir doch schnell wieder auf die Niederlande. Denn Verstreuen, das ist auch hierzulande ein schwieriges Thema, zumindest außerhalb von Aschewiesen auf Friedhöfen, die auch nur in bestimmten Bundesländern existieren. Als Alternative bliebe für mich noch die Seebestattung. Vom Begräbnis inklusive Bepflanzung mit Primeln und teurem Grabstein hielt ich nie viel.

Die Realisierung solcher "extravaganten" Wünsche sehen aber die Zunft der Bestatter und die Kirchen mehr als kritisch (aus ideologischen ebenso wie monetären Gründen), und so kam es denn im Zuge der Vorbehalte gegenüber solch ungeheurer Freizügigkeit, wie sie unsere nordwestlichen Nachbarn praktizieren, zu einer urbanen Legende, zu einem Gerücht, über dessen Hartnäckigkeit und Verbreitung ich nach ein wenig googlen bas erstaunt war.

Es lautet:
In den Grachten Amsterdams finden sich beim turnusmäßigen Ausbaggern und Reinigen hunderte Urnen mit menschlicher Asche, die dort einfach und billig von Angehörigen entsorgt werden, weil diese damit nichts anzufangen wissen.
Dies sei eine Folge der liberalen Bestattungsregelung, die es erlaube, Urnen zuhause aufzubewahren. Die Urenkel schließlich wüssten bei der Entrümpelung nicht, wohin mit der Asche, und deponierten sie samt Behältnis im Wasser.

Spannend, dass ich keinerlei niederländische Belege für diese Problematik fand. Drehte es sich tatsächlich um hunderte Urnen, so müsste sich doch auf niederländischen Websites etwas darüber finden... Aber da war rein gar nichts. Ein charmanter Bericht über die Baggerei fand sich auf der Seite Jouw Buurt Mijn Buurt, aber dem zufolge wurden neben einer Menge Plastikmüll, vielen Fahrrädern und tatsächlich auch mal der einen oder anderen Leiche keine Urnen gefunden, oder zumindest nicht die "Hunderte", die erwähnenswert gewesen wären. Auch auf der Seite von Waternet und derjenigen der Gemeinde Amsterdam kein Wort über dieses ungeheuerliche Phänomens.

Was mich vollkommen fasziniert ist die lebendige Dynamik eines solchen Gerüchts und die Art, wie es sich fortsetzt. Mal davon abgesehen, dass es in diesem Fall auch einen tatsächlichen Zweck erfüllt, nämlich den, die Liberalität in der Bestattungskultur unserer Nachbarn als ethisch fragwürdig und moralisch abgründig zu brandmarken. Es wundert mich nicht, dass das Gerücht sich nicht nur in Foren, sondern auch auf der Homepage eines CDU-Politikers in NRW wiederfand. Er hoffte wohl, es angesichts einer zur Debatte stehenden Änderung des Bestattungsgesetzes zum Politikum machen zu können.

Fest steht für mich, dass ich auf keinen Fall nach dreißigjähriger "Ruhezeit" in matschigem Erdreich von einem Schaufelbagger wieder ans Tageslicht gebuddelt werden will. Da lass' ich mich doch lieber in den Wind streuen - oder im Zweifel auch in die Gracht.

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