Sturmflut
Donnerstag, 8. September 2011
Malfunktion
Vor rund anderthalb, zwei Wochen machte ich mich nach der Arbeit zu Fuß auf den Weg zur Post, um zwei Pakete abzuholen. Wenn ich zu Fuß unterwegs bin, dann meistens sehr schwungvoll. Kleine Schritte sind mein Ding nicht, was möglicherweise meiner Körperlänge geschuldet sein könnte. Entsprechend schwungvoll legte ich mich denn auch auf die Klappe. Aus heiterem Himmel sah ich mich unaufhaltsam und in Zeitlupe stürzen und fand mich dann mit schmerzenden Knien und Handballen auf dem Pflaster des Fußwegs wieder wie ein sterbender Schwan. Ein lautloses "Au!" verließ meine Lippen, das der Busfahrer las, der an der Ampel wartete, die ich eigentlich gerade hatte überqueren wollen. Er formte zurück: "Alles in Ordnung?", und ich nickte.

Die Jeans blieben heil, die Knie und Hände nicht. Bagatelle - der Mitarbeiter am Postschalter versorgte mich mit Heftpflaster, und ich habe gutes Heilfleisch. Man sieht es kaum noch. Aber was zum Henker ist los mit meinem linken Bein?

Das macht, was es will, oder besser: Es macht gar nichts. Als es zum ersten Mal ohne nennenswertes Hindernis am Teppichboden hängenblieb, als sei es magnetisch, wertete ich das als Zufall und/oder kleinen Stolperer, der halt mal vorkommen kann. Dann passierte mir das auch bei der Arbeit: Vom Schreibtisch aufgestanden, drei Meter gegangen, mit dem linken Bein gebremst, ohne es zu wollen. Dann dieser Sturz. Gestern stand ich vom heimischen Sofa auf und bremste auf der Freifläche vorm Fernseher. Später dann noch mal am oberen Ende der Treppe (was ich extrem ungünstig finde!). Es hat offenbar keine Lust, zu laufen. Und entscheidet sich dann spontan dazu, es auch nicht zu tun.

Mir tut nichts weh. Vereinzelte "elektrische Schläge" führte meine Ärztin auf eine allenfalls leichte Ischialgie zurück, deshalb habe ich das nicht weiter bemerkenswert gefunden. Zumal sie auch irgendwann verschwanden. So etwas ignoriere ich gern. Leichte Schmerzen im Lendenwirbelbereich gehören eh irgendwie zum Leben. Der ganze Rummel ist auch kein Wunder, wenn man bedenkt, dass ich den größten Teil des Tages sitze. Aber jetzt, da neben diesen Zipperlein ein konkreter Körperteil die Arbeit verweigert, wenn auch zaghaft und unberechenbar, da geht mit mir das Kopfkino durch. Denn Erklärungen für diese Malfunktion gibt es allerhand. Von den meisten will ich eigentlich gar nichts wissen.

Die simpelste ist wahrscheinlich auch diejenige, die zutrifft. Ich kann nicht ordentlich sitzen. Ich verknote meine Beine in geradezu absurder Weise, und der Ausdruck "übereinanderschlagen" würde eine unzulässige Vereinfachung darstellen. Dass dabei natürlich allerhand Weichteile, Nerven und Muskeln auf ungünstige Weise gequetscht, gedrückt, verdreht und verzogen werden, ist mir bewusst. Wie erzieht man sich dazu, ergonomisch anständig zu sitzen? Allerhand lustige Ratgeber predigen 90°-Winkel hier und da und parallel aufgesetzte Füße.

Mein Körper sagt mir, dass das auf Dauer unbequem ist, auch wenn mein Kopf es besser weiß. Als langer Lulatsch bräuchte man ein vernünftiges Training der Rückenmuskulatur, um das durchzuhalten. Fitness-Studio ist teuer. Bei Verordnung einer vernünftigen, langfristigen Physiotherapie pissen sich die Ärzte an. Für die nächste Woche setze ich erst mal einen Besuch meiner Ärztin auf meine Agenda. Mal sehen, was sie sagt.

Was mich aber am meisten erschreckt ist die momentane Unberechenbarkeit meines Körpers. Ganz ohne jegliche Vorankündigung durch Schmerz oder Taubheit versagt mein Bein seinen Dienst. Ich habe keine große Lust, noch mal das Pflaster zu küssen. Ich jammere nicht schnell und bin prinzipiell robust, aber das ist einfach nur fies. So, als latsche man fröhlich und beschwingt in luftleeren Raum, den man nicht sieht. Ich hätte bitte gern mein Bein zurück, und zwar ohne zusätzliche Schrammen...

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