Sturmflut
Dienstag, 20. Dezember 2011
Durch die Hintertür
Liebe A.,

gestern traf Dein Paket ein. Damit habe ich nicht gerechnet. Und irgendwie doch. Denn schließlich sagte mir G., Du wollest noch wissen, was ich mir zu Weihnachten wünsche.

Seit nunmehr drei Jahren haben wir uns nicht mehr gesehen, das schließt auch zwei Weihnachtsfeste ein. Ich habe mich nicht zu Euren Geburtstagen gemeldet, und ich dachte, es sei auch deutlich geworden, dass ich von Euch Geschenke weder erwarte noch wünsche. Ich frage mich, ob es meinerseits an Deutlichkeit oder Nachdruck gemangelt hat. Denn an meinem diesjährigen Geburtstag schenktet Ihr mir dieses Zeitungsabonnement (schwer zu retournieren, übrigens). Ich habe das angenommen, aber das war, scheint's, ein Fehler. Denn jetzt geht Ihr davon aus, dass noch mehr drin ist.

Warum fühle ich mich bestochen und schmutzig, wenn ich von Euch etwas geschenkt bekomme? Diese Reaktion ist so unmittelbar, dass mir beinahe übel davon wird. Dieses Paket. Deine Worte auf einer selbstgebastelten Klappkarte. So, als sei nichts gewesen.

Ja ja, ich weiß schon, wenn ich noch immer so täte, als ob tatsächlich nichts gewesen wäre, dann würden wir auch in diesem Jahr wieder bei Euch unterm Baum sitzen, in Eurem steifen Interieur, per Small-Talk mühsam die Klippen umschiffend, gegen die wir mit zunehmendem Alkohol-Pegel dann doch in voller Fahrt krachen würden. Wir würden Freude heucheln und uns mies fühlen, weil Ihr, wenn Ihr schenkt, das Gefühl vermittelt, ewige Dankbarkeit zu verdient zu haben. Ehrlich, allein Deine Frage "Ist es denn jetzt dann auch gut?", die Du schon immer nach jedem Geschenk stelltest, zeigt, wie wenig es Dir um die Beschenkten zu tun ist.

Dieser Pappkarton, den L. am gestrigen Abend aus der Packstation mitbrachte, trägt Deine Handschrift, und wir beide dachten "Oh nein!" und sagten es auch. "Ich will nichts geschenkt von Deinen Eltern!" sagte L. Und ich will es auch nicht, schon längst nicht mehr.

Normalerweise neigst Du dazu, teure, exklusive Geschenke zu machen, so als sichere Dir das am ehesten die Anerkennung Deiner Mitmenschen. Gleichzeitig bist Du ungeheuer geizig und immer auf der Suche nach den Dingen, die teuer aussehen, aber günstiger zu haben sind. Wenn man das weiß, dann schätzt man Deine Geschenke erst recht so richtig. Als Du mich mal fragtest, was ich mir zum Geburtstag wünsche, antwortete ich Dir: "Ein Gespräch unter vier Augen!" Gewünscht habe ich mir eigentlich Deine Aufrichtigkeit, Wahrhaftigkeit und Anteilnahme. Inzwischen wünsche ich nichts mehr. Denn Deine Worte sind genau so kalt und hart wie Deine Geschenke.

Ja, A., Du bist eine gute Mutter! Wenn Du willst, dann sage ich Dir das noch zehnmal, zwanzigmal, Hauptsache, Du lässt mich dann mit Deinen Geschenken in Ruhe. Du hast extra für mich gestrickt, und ja, der Schal gefällt mir. So viel Herzblut wie Du hat noch niemals eine Mutter in einen Schal gestrickt. Wirklich nicht. Du bist die Größte. Die fürsorglichste, anteilnehmenste, warmherzigste Mutter der Welt. Du hast nichts falsch gemacht. Niemals. Und auch, dass Du "Liebe Grüße von Papa!" in die Karte schriebst, ist großartig von Dir (ehrlich - als könnte ich jemals vergessen, dass ich einen "Papa" habe, wo er mir doch immer und immer wieder begegnet, wenn es in meinem Schlafzimmer zu Intimitäten kommt).

Du schreibst, Du willst mich treffen im neuen Jahr. Und dann? Werden wir uns im Café gegenüber sitzen und uns übers Wetter unterhalten? Natürlich könnte ich das. Aber weshalb sollte ich dafür Zeit verschwenden? Damit Du Dein Selbstbild von der liebevollen Mama wieder aufbauen, Dich über die Qualität unserer Beziehung belügen kannst?

Bitte, schenke mir nichts mehr.

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