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Dienstag, 8. Oktober 2013
Maskenspiel (Quedlinburg 1)
Am 8. Okt 2013 im Topic 'Hoch- und Niedrigwasser'
"Kann es sein, dass du Schwierigkeiten hast, Entscheidungen zu treffen?" frage ich S., als ich zum wiederholten Mal auf meine Frage, was sie sich in Sachen Abendessen wünsche, keine Antwort erhalte. Wir stolpern auf müden Füßen durch Quedlinburgs Innenstadt, von oben prasselt uns ein stetiger Regen auf die Kapuzen, und ich habe Hunger. "Das liegt wohl daran, dass ich so sehr offen für alles bin!" meint S.. Schnell. Thema erledigt. (Denk positiv! Es ist immer besser, für alles offen zu sein, als zu gestehen, dass man Angst hat, jemandem auf den Schlips zu treten oder die falsche Entscheidung zu treffen.)
Letztlich musste ich entscheiden, wohin wir zum Essen gehen. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Ich habe vieles entschieden in diesen paar Tagen, weil es einfach unglaublich schwer ist, S. eine Aussage darüber abzuringen, was sie wirklich will, was sie denkt, fühlt und sich wünscht. Sie fragt morgens, ob ich die erste sein möchte, die ins Bad geht. Als ich wieder herauskomme, ist sie bereits vollständig angezogen, und ich frage mich, ob sie sich nicht auch waschen wollte. Sie frage ich das nicht. Sie hat bereits alles mit derart stiller und selbständiger Effizienz erledigt, dass ich tiefe Gewohnheit dahinter vermute. Immer erst an die anderen denken. Sei nur kein Klotz am Bein. Nimm Kritik vorweg oder vermeide sie.
Den Wunsch, mit ihrem Lebensabschnittsgefährten zu telefonieren, äußert sie nicht, sondern sie verschiebt das auf einen Zeitpunkt, als ich gerade mit etwas anderem befasst bin. Hinterher entschuldigt sie sich für das Telefonat.
Interessant wird es, wenn wir eigentlich schon eine Entscheidung getroffen haben, die ich für Konsens hielt. Aus heiterem Himmel, gerade unterwegs nach irgendwo, stellt S. Fragen, die mit den Worten beginnen: "Oder meinst du, wir sollten nicht doch lieber...?" Innerlich treibt mich das auf die Palme, ich bin genervt. Innerlich. Ich ahne zumindest, dass eine Kritik daran, wagte ich sie zu äußern, S. fundamental berühren würde und daher wie üblich auf dieses durchdachte Abwehrgerüst träfe, das so sorgfältig eine weitere Auseinandersetzung verhindert. Weil ich so offen für alles bin. S. ist wie üblich weich, nachgiebig, wenig deutlich in ihren Äußerungen, ganz auf mich fixiert.
Das führt dazu, dass ich mich selbst gar nicht mehr traue, eigene Wünsche zu äußern, weil ich weiß, dass ich immer meinen Willen kriegen würde, versuchte ich es. S. passt sich an bis zur Unkenntlichkeit, und ich fühle mich dominant und eigenwillig, obwohl ich es gar nicht bin. Zugegeben, es ist ein schönes Gefühl, sich beweisen zu können. Diejenige zu sein, die sich auskennt, die Karten lesen kann und so etwas wie einen Orientierungssinn hat im Gegensatz zu ihr, und daher auch immer die zu sein, die sagt, wo es langgeht. Das ist auch metaphorisch gemeint. Nicht nur das Wissen um die Gegebenheiten macht mich zum Entscheider. Sie nötigt mir diese Rolle regelrecht auf. Und da wird es schwierig. Ich möchte das nämlich gar nicht.
Es ist eine Sache, dass sie bereits vergessen hat, in welcher Richtung die Altstadt liegt, als wir morgens wieder aus der Vordertür der Pension treten. Es ist noch nichts dabei, mit dem Finger nach rechts zu zeigen und zu sagen: "Da runter."
Aber es ist eine andere Sache, wenn der Wunsch, Zeit mit ihr zu verbringen, in der Tatsache ertränkt wird, dass S. gar nicht da ist. Sie ist Befehlsempfänger und Spürnase, sie ist in vielen Momenten ganz und gar mein Spiegel. Aber ich will nicht mich sehen und die Erfüllung meiner Bedürfnisse und Wünsche, sondern sie und den Menschen, der sie ist. Diesen einen Wunsch erfüllt sie mir nicht. Sie bleibt für mich schwer fassbar, selbst, wenn sie neben mir läuft, sitzt und schläft.
Am letzten Tag dann: Sankt Cyriakus. Ein Kirchenbau im benachbarten Gernrode, von dem sie bereits seit unserer Ankunft spricht. Ich zeige mich offen bezüglich der Idee, die Kirche anzuschauen, schließlich kann ich mich für romanische Bauwerke durchaus begeistern. Aber ich bin mir nicht sicher, was S. treibt. Die ganze Gegend in und um Quedlinburg ist voll mit geschichtsträchtigen Bauten, deren Besichtigung sich lohnt, aber St. Cyriakus scheint wichtig zu sein. Warum, das sagt sie mir nicht - keine Schwärmereien über interessante Fresken, keine für mich erkennbare spirituelle Motivation, kein inhaltlicher Bezug auf Geschichte oder Architektur. Hinterher finde ich heraus, dass der Besuch der Kirche auf der Empfehlung eines Kollegen beruht. Dann kann ich sagen, ich war da, wenn er fragt. Und, wie es war.
Angekommen in Gernrode ist es gerade 10 Uhr, Sonntagvormittag. Ein Schild steht vor dem Eingang, "Sightseeing not welcome". Wir können die Kirche nicht betreten, zumindest nicht in Besichtigungsabsicht. S. überlegt hin und her, ich merke, sie möchte gern. Auf dem Schild steht aber auch, dass Gäste und Besucher zum Gottesdienst willkommen seien. Ich weiß, S. ist keine Atheistin wie ich. Ich schlage vor, sie geht hinein, ich bleibe draußen - mich als Gast dem Gottesdienst anzuschließen, hätte ich als Heuchelei empfunden und mich dabei nicht wohlgefühlt. Aber darauf verzichtet S.. Ich merke ihr die Enttäuschung an, weiß aber nicht, woher sie rührt. Daher, dem Kollegen gegenüber eingestehen zu müssen, doch nicht in die Kirche gegangen zu sein? Oder vielleicht doch daher, dass ihr der Blick in das Gebäude entging? Sie spricht nicht darüber.
Wir hatten eine schöne Zeit, über die ich noch berichten werde. Aber in mir bleibt auch ein schales Kopfschütteln und die Empfindung, S. nicht begleiten und berühren zu können, weil sie mich nicht lässt. Auch Wut angesichts der Rolle, die sie mir in diesem ganz persönlichen Spiel zugedenkt, selbst wenn das sicher nicht bewusst passiert. Mir ist schwindlig von all dem Hin und Her, von ihrer mangelnden (Be-)Greifbarkeit und von ihren Tanzschritten, die sie so routiniert und atemberaubend schnell vollführt, dass es mich überhaupt wundert, dass ich dieses Manöver an einem Zipfel zu fassen kriege. Immer bleibt das Gefühl, nicht hinter die Maske geschaut haben zu können. So bin ich auch im gemeinsamen Lachen traurig.
Letztlich musste ich entscheiden, wohin wir zum Essen gehen. Nicht zum ersten und nicht zum letzten Mal. Ich habe vieles entschieden in diesen paar Tagen, weil es einfach unglaublich schwer ist, S. eine Aussage darüber abzuringen, was sie wirklich will, was sie denkt, fühlt und sich wünscht. Sie fragt morgens, ob ich die erste sein möchte, die ins Bad geht. Als ich wieder herauskomme, ist sie bereits vollständig angezogen, und ich frage mich, ob sie sich nicht auch waschen wollte. Sie frage ich das nicht. Sie hat bereits alles mit derart stiller und selbständiger Effizienz erledigt, dass ich tiefe Gewohnheit dahinter vermute. Immer erst an die anderen denken. Sei nur kein Klotz am Bein. Nimm Kritik vorweg oder vermeide sie.
Den Wunsch, mit ihrem Lebensabschnittsgefährten zu telefonieren, äußert sie nicht, sondern sie verschiebt das auf einen Zeitpunkt, als ich gerade mit etwas anderem befasst bin. Hinterher entschuldigt sie sich für das Telefonat.
Interessant wird es, wenn wir eigentlich schon eine Entscheidung getroffen haben, die ich für Konsens hielt. Aus heiterem Himmel, gerade unterwegs nach irgendwo, stellt S. Fragen, die mit den Worten beginnen: "Oder meinst du, wir sollten nicht doch lieber...?" Innerlich treibt mich das auf die Palme, ich bin genervt. Innerlich. Ich ahne zumindest, dass eine Kritik daran, wagte ich sie zu äußern, S. fundamental berühren würde und daher wie üblich auf dieses durchdachte Abwehrgerüst träfe, das so sorgfältig eine weitere Auseinandersetzung verhindert. Weil ich so offen für alles bin. S. ist wie üblich weich, nachgiebig, wenig deutlich in ihren Äußerungen, ganz auf mich fixiert.
Das führt dazu, dass ich mich selbst gar nicht mehr traue, eigene Wünsche zu äußern, weil ich weiß, dass ich immer meinen Willen kriegen würde, versuchte ich es. S. passt sich an bis zur Unkenntlichkeit, und ich fühle mich dominant und eigenwillig, obwohl ich es gar nicht bin. Zugegeben, es ist ein schönes Gefühl, sich beweisen zu können. Diejenige zu sein, die sich auskennt, die Karten lesen kann und so etwas wie einen Orientierungssinn hat im Gegensatz zu ihr, und daher auch immer die zu sein, die sagt, wo es langgeht. Das ist auch metaphorisch gemeint. Nicht nur das Wissen um die Gegebenheiten macht mich zum Entscheider. Sie nötigt mir diese Rolle regelrecht auf. Und da wird es schwierig. Ich möchte das nämlich gar nicht.
Es ist eine Sache, dass sie bereits vergessen hat, in welcher Richtung die Altstadt liegt, als wir morgens wieder aus der Vordertür der Pension treten. Es ist noch nichts dabei, mit dem Finger nach rechts zu zeigen und zu sagen: "Da runter."
Aber es ist eine andere Sache, wenn der Wunsch, Zeit mit ihr zu verbringen, in der Tatsache ertränkt wird, dass S. gar nicht da ist. Sie ist Befehlsempfänger und Spürnase, sie ist in vielen Momenten ganz und gar mein Spiegel. Aber ich will nicht mich sehen und die Erfüllung meiner Bedürfnisse und Wünsche, sondern sie und den Menschen, der sie ist. Diesen einen Wunsch erfüllt sie mir nicht. Sie bleibt für mich schwer fassbar, selbst, wenn sie neben mir läuft, sitzt und schläft.
Am letzten Tag dann: Sankt Cyriakus. Ein Kirchenbau im benachbarten Gernrode, von dem sie bereits seit unserer Ankunft spricht. Ich zeige mich offen bezüglich der Idee, die Kirche anzuschauen, schließlich kann ich mich für romanische Bauwerke durchaus begeistern. Aber ich bin mir nicht sicher, was S. treibt. Die ganze Gegend in und um Quedlinburg ist voll mit geschichtsträchtigen Bauten, deren Besichtigung sich lohnt, aber St. Cyriakus scheint wichtig zu sein. Warum, das sagt sie mir nicht - keine Schwärmereien über interessante Fresken, keine für mich erkennbare spirituelle Motivation, kein inhaltlicher Bezug auf Geschichte oder Architektur. Hinterher finde ich heraus, dass der Besuch der Kirche auf der Empfehlung eines Kollegen beruht. Dann kann ich sagen, ich war da, wenn er fragt. Und, wie es war.
Angekommen in Gernrode ist es gerade 10 Uhr, Sonntagvormittag. Ein Schild steht vor dem Eingang, "Sightseeing not welcome". Wir können die Kirche nicht betreten, zumindest nicht in Besichtigungsabsicht. S. überlegt hin und her, ich merke, sie möchte gern. Auf dem Schild steht aber auch, dass Gäste und Besucher zum Gottesdienst willkommen seien. Ich weiß, S. ist keine Atheistin wie ich. Ich schlage vor, sie geht hinein, ich bleibe draußen - mich als Gast dem Gottesdienst anzuschließen, hätte ich als Heuchelei empfunden und mich dabei nicht wohlgefühlt. Aber darauf verzichtet S.. Ich merke ihr die Enttäuschung an, weiß aber nicht, woher sie rührt. Daher, dem Kollegen gegenüber eingestehen zu müssen, doch nicht in die Kirche gegangen zu sein? Oder vielleicht doch daher, dass ihr der Blick in das Gebäude entging? Sie spricht nicht darüber.
Wir hatten eine schöne Zeit, über die ich noch berichten werde. Aber in mir bleibt auch ein schales Kopfschütteln und die Empfindung, S. nicht begleiten und berühren zu können, weil sie mich nicht lässt. Auch Wut angesichts der Rolle, die sie mir in diesem ganz persönlichen Spiel zugedenkt, selbst wenn das sicher nicht bewusst passiert. Mir ist schwindlig von all dem Hin und Her, von ihrer mangelnden (Be-)Greifbarkeit und von ihren Tanzschritten, die sie so routiniert und atemberaubend schnell vollführt, dass es mich überhaupt wundert, dass ich dieses Manöver an einem Zipfel zu fassen kriege. Immer bleibt das Gefühl, nicht hinter die Maske geschaut haben zu können. So bin ich auch im gemeinsamen Lachen traurig.
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