Sturmflut
Freitag, 1. November 2013
Prager Stadtmassenverkehr, oder: Tschechisch für Anfänger
Nachdem wir den kompletten Donnerstag mit der Anreise per Bus nach Prag verbracht hatten, machte sich am Freitagmorgen ein Teil unserer Reisegruppe auf den Weg zum Dreiländereck Deutschland-Polen-Tschechien, um dort einige Geocaches zu suchen und so neben dem tschechischen auch noch ein polnisches Geocaching-Souvenir einzuheimsen. Für einen Moment hatte ich überlegt, mitzufahren, und dann doch beschlossen, statt einer weiteren stundenlangen Busfahrt die Stadt schon mal allein und auf eigene Faust zu erkunden.

Auf dem Speisezettel für mein böhmisches Menü stand als erstes der Besuch des Mucha-Museums, über das ich noch an anderer Stelle berichten werde, weil es eine genauere Betrachtung verdient.


Um vom im Bezirk 4 gelegenen Hotel in die Stadt zu kommen, setze ich mich an der Haltestelle Budějovická in die Metro, Linie C, und fahre bis zur zentral gelegenen Station Muzeum. Von dort ist es zu Fuß nur noch ein Katzensprung zum Wenzelsplatz und weiter zum Mucha-Museum.

Bereits als ich die Metrostation Budějovická betrete, merke ich, dass mir diese U-Bahn sympathisch ist. Ich liebe ohnehin öffentliche Verkehrsmittel, was wohl ein Relikt aus Studententagen sein muss, als man mit dem Studententicket einfach überall hinkam. (Ich erinnere mich noch mit Vergnügen daran, wie ich mich als Studienanfängerin abends mit der Bremer Straßenbahn durch die Stadt schaukeln ließ, auch wenn andere Erinnerungen an Bremen weniger vergnüglich waren.) Die Prager Metro allerdings schlägt alles, was ich bisher an öffentlichen Verkehrsmitteln ausprobiert habe. Sie ist sauber, schnell, übersichtlich und fährt zu Stoßzeiten in einem atemberaubenden Takt.


Schon das knuffige Logo mit dem abwärts zeigenden Pfeil gefällt mir und hat mich in den paar Tagen in Prag die ganze Zeit begleitet. Es im Stadtbild auszumachen ist nicht schwer, und unter der Erde leitet einen ein farblich markiertes System. Es ist fast unmöglich, sich zu verlaufen.

Kaum habe ich im Zug Platz genommen, dringt nach einem Signalton eine männliche Stimme an mein Ohr. Ich verstehe natürlich nicht, was sie sagt, aber ich kann es mir in etwa denken. Aber, oh! So freundlich und melodisch klingt die Ansage, dass ich mich schon auf die Wiederholung an der nächsten Station freue. Inzwischen habe ich natürlich nachgeschaut, wie sie genau lautet:

Ukončete, prosím, výstup a nástup, dveře se zavírají.

Die Männerstimme vom Band sagt das so sympathisch, dass die deutsche Übersetzung zwangsläufig an Charme verlieren muss: "Beenden Sie bitte Ausstieg und Einstieg, die Türen schließen sich."

Der Satz prägt mein persönliches Prager Klangbild, ganz ähnlich wie es in London das berühmte Mind the gap tat. Und getrieben von Sprachlust habe ich ihn selbst geübt und grinse selig in mich hinein, wenn er mir gelingt. Meine Zunge scheitert aber doch ziemlich oft an den Türen, dveře, des unaussprechlichen Lautes irgendwo zwischen sch und einem rollenden r wegen. Schade, denn den mag ich besonders.

Nachdem ich mir im Mucha-Museum ausgiebig Zeit gelassen habe, setze ich meinen Weg fort. Auf die Karlsbrücke möchte ich mich nicht stürzen, und auch die Altstadt erkunde ich lieber am Nachmittag zusammen mit den Freunden. Im Vorfeld hatte ich gelesen, dass die Prager Hochburg, der Vyšehrad, einen Besuch wert sei, allerdings nicht von vielen Touristen besucht werde. Genau das Richtige also. Auch über diesen Ort wird noch näher zu berichten sein.

Die Metro setzt mich an der gleichnamigen Haltestelle ab, was simpel ist, und auch hier begleitet mich wieder der charmante Sound. Příští stanice: Vyšehrad. Vorher komme ich aber noch an der Station mit dem Namen I.P. Pavlova vorbei, und da ist es dann beinahe aus mit meiner Contenance, weil die Aussprache so dermaßen angenehm anders ist, als ich es mir vorgestellt hatte - weich, plüschig, beinahe ein bisschen verschlafen. Und auch das ein Klang, den ich so schnell nicht vergesse.


In der Festung Vyšehrad schließlich, in der es so viel zu sehen gibt und so wenige Menschen, die es sich ansehen, spricht mich eine zierliche, dunkelhaarige Frau mit ein paar Flyern in der Hand an, und ich sehe offenbar so wenig touristisch aus, dass es schwierig ist, ihren Redefluss mit einem verlegenen "I'm sorry, I don't understand..." zu stoppen. Dabei will ich eigentlich auch gar nicht, dass sie aufhört. Ich denke nur die ganze Zeit: "Rede weiter!" Das allerdings wäre wohl nicht ganz fair gewesen, denn sie hätte ihr Ziel nie erreicht - verstanden habe ich kein Wort.

Später steige ich dann wieder in die Linie C, fahre bis zur Station Florenc, steige um in die gelbe B zum Náměstí Republiky - nur allein zum Vergnügen, um mir die Zeit zu vertreiben, bis ich die Polen-Rückkehrer treffe. Dort sagt eine Frauenstimme die Stationen an. Es ist nicht ganz dasselbe. Alle zusammen fahren wir dann auch noch mit der Tram und der grünen Linie A, und ich freue mich, dass wir auf unserem Weg ins Hotel am Samstag abend an der I.P. Pavlova noch einmal umsteigen können.


Bislang hat es mich immer in Länder verschlagen, in denen ich entweder beinahe alles verstanden habe, weil ich die Sprache spreche, oder zumindest den Sinn erfassen konnte aufgrund rudimentärer Schulkenntnisse und Herleitungen auf Basis von Latein. Anders in Tschechien. Durch meinen Kopf geisterte vorher das Klischee einer harten, unverständlichen und mit gehörfeindlichen Lauten durchsetzten Sprache, vielleicht dem bisschen Russisch ähnlich, das man mal in irgendwelchen Kinofilmen gehört hat, oder bevor das deutsche Voice-over in den Nachrichten Herrn Putin ins Wort fiel. Wobei ich mir sicher bin, damit auch dem Russischen Unrecht zu tun.

Mein Erstkontakt mit der tschechischen Sprache belehrte mich eines Besseren. Sie wird wohl noch lange ein böhmisches Dorf für mich bleiben, aber dennoch unvergesslich, genau so wie der Prager Stadtmassenverkehr.

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