Sturmflut
Mittwoch, 9. Oktober 2013
Flashback
Vor mir liegt ein Haufen Bügelwäsche. Da greife ich gern mal zum leichten Entertainment und mache die Glotze an, während ich mich durch den Kleiderberg arbeite.

Nun haben Öffentlich-rechtliche nicht allzu viel zu bieten am frühen Nachmittag, und private Sender kommen nicht in Frage. Ich zappe durch die Kanäle und komme immer wieder bei denselben abgegriffenen Wiederholungen schlechter Vorabendsendungen heraus ("Unser Charlie", "Da kommt Kalle") oder beim Servicefernsehen, in dem beflissene Fernsehgärtner und geschäftige Fernsehköche ihr Bestes geben, um dem Publikum viele tolle, praktische Anleitungen für ein kreatives, erfülltes Leben zu geben. Gähn!

Ich bleibe also bei einem Mitschnitt vom "Rock am Ring"-Auftritt von Korn hängen, das einzige, was mir erträglich erscheint. Nachdem sie als Opener "Blind" gespielt hatten, das mich sehr an alte Tage erinnert, folgen einige Stücke pures Gelärme, das mich dann doch wieder wegschalten lässt - noch einmal durch die Sendertabelle, doch wieder Service-Fernsehen, doch wieder das kalte Grauen, doch wieder zurück zu Korn.

Was habe ich die Band geliebt. Irgendwie war da in Studententagen eine Resonanz, ich habe mir die Musik ständig auf die Ohren gegeben. Sie passte zu meiner inneren Verzweiflung. Bruchstücke davon kommen wieder hoch, als ich mir das Konzert ansehe. Nach Untouchables gab's für mich allerdings irgendwann einen Bruch. Ob es daran gelegen hat, dass ich das vage Gefühl hatte, Korn habe sich an die Popmusik verkauft, oder ob sich meine innere Einstellung verändert hat, weiß ich heute nicht mehr so genau.

Mal davon abgesehen, dass beinahe sämtliche Bandmitglieder inzwischen aussehen wie Johnny Depp als Jack Sparrow und sich beim Ansehen des Konzertes deshalb die Ernsthaftigkeit und Tiefe etwas verflüchtigt, macht es mir doch erstaunlich viel Spaß, als sie die "alten" Klamotten wie "Got The Life" oder "Freak on a Leash" aus der Truhe holen - Titel, die das blutjunge Publikum beim "Rock am Ring" erstaunlich unberührt lassen, bei mir aber ein spontanes Herumhüpfen am Bügelbrett auslösen. Follow the Leader war ohnehin das beste Album.

Vielleicht muss ich mal wieder eines der Alben aus dem Regal holen und von vorne bis hinten durchhören. So eine Spur des Gefühls von damals ist immer noch in mir vorhanden und kommt wieder stärker durch, seit ich nicht mehr jeden Tag ins Büro gehe - da ist das Gefühl von mehr kreativem Freiraum im Bezug auf die eigene Person. Stromgitarrenmusik (wie sie Freund J. in spürbarem Unverständnis für das Genre nennt) gehört immer noch irgendwie dazu für mich, auch wenn ich die höllische, depressive Verzweiflung von damals nicht unbedingt wiederhaben möchte. Flashback im Soundtrack des Lebens. Nicht groß genug für eine Reanimation, aber doch interessant genug für eine Reminiszenz.

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