Sturmflut
Freitag, 11. Oktober 2013
Waldeslust (Quedlinburg 2)
Dieser überaus graue, regnerische und triste Morgen ist eine perfekte Gelegenheit, um den schönsten unserer Quedlinburger Tage zu rekapitulieren. Während also draußen Wasser von oben kommt, ist es richtig wohltuend, bei einer Tasse Tee durch die Bilder zu blättern, die vor einer Woche im Bodetal entstanden sind. Die Erinnerung an die Milde, den Sonnenschein und sich verfärbende Bäume wärmt zusätzlich.

Wir hatten Glück mit dem Wetter. Weil für den Samstag Regen angesagt war, waren wir wild entschlossen, den Freitag für Freiluftaktivitäten voll und ganz auszunutzen. Wir parkten am Ortsrand von Thale, einem am Taleinschnitt der Bode gelegenen Örtchen. Dann liefen wir die letzten paar hundert Meter bis zum Waldrand und schwenkten auf den Brunhildenstieg ein, der uns direkt an unseren Startpunkt ins Bodetal führen sollte. Höhenangst war bei S. entgegen meiner Befürchtungen zum Glück kein Thema, denn der Wanderweg war breit genug, dass zwei Leute nebeneinander gehen konnten, und so fühlte sie sich sicherer.

Ziemlich bald konnten wir das kräftige Rauschen der Bode unter uns hören und oben zwischen den Baumwipfeln die bunten Gondeln der Kabinenseilbahn schweben sehen, die Thale mit dem Hexentanzplatz am Hang über uns verband. Es dauerte dann auch nicht mehr lang, bis wir den Serpentinen nach unten folgend an der Bode ankamen.



Hier herrschte ziemlich reger Betrieb, was wohl dem langen freien Wochenende rund um den Tag der Deutschen Einheit geschuldet war. Wir ließen eine große Gruppe grauhaariger Leute mit Trekkingstöcken und Jack-Wolfskin-Jacken an uns vorbeiziehen und machten uns dann linksseits der Bode auch auf den Weg.

Auf der Gegenseite des schmalen Taleinschnitts schlenderten Spaziergänger unter dem Goethefelsen entlang, aber wesentlich faszinierender als im grauen Gestein angebrachte, von Berühmtheiten kündende Plaketten waren das Tal und die Bode selbst.



Links und rechts ging es schroff und steil bergauf, und in dieser Schlucht schäumte und sprudelte der Fluss über bemooste Findlinge - ein Anblick, der schon beinahe klischeehaft schön war.



Ich glaube allerdings, dass es S. erheblich leichter fiel als mir, die Touristen zu ignorieren. Man wäre ja so gern der einzige und vergisst darüber schnell, dass man auch nicht mehr und nicht weniger ist als selbst ein Tourist. Trotzdem - staunen, gucken und Waldluft atmen halfen mir auch über diesen Wermutstropfen hinweg.

An der Jungfernbrücke querten wir die Bode und ließen das Gasthaus Königsruhe schnell hinter uns. Danach dünnte sich der Wandererstrom deutlich aus, und es ging etwas entspannter zu. Hier und da waren die Auswirkungen von Erdrutschen deutlich zu sehen, ein Zuweg von oberhalb war gesperrt, und rotweiße Plastikbänder wiesen auf Gefahrenstellen hin.



Schwindelerregend war das alles dennoch nicht. Ich hatte deutlich mehr Anspruch erwartet und war im Nachhinein vor allem wegen S.s Höhenangst ziemlich erleichtert darüber, dass der Weg so gut befestigt und gepflegt war. Allenfalls hatten wir solide gebaute Brücken und Stege zu überqueren, die dicht an Felswänden entlang führten, weil die Schlucht selbst zu schmal gewesen wäre für die Anlage eines Weges.

Bald darauf führte uns die Teufelsbrücke wieder zurück an das linke Bodeufer, und es folgten einige recht steile Serpentinen. Hier staute sich der Wanderverkehr wieder, und uns kamen Menschen in Turnschuhen entgegen, die sich angesichts des großen Gefälles mit weichen Knien an der felsigen Bergseite entlangtasteten oder sich gegenseitig die Hände reichten. An uns vorbei turnten unterdessen zwei halbwüchsige Jungs in Chucks und kürzten den Weg zwischen den Serpentinenschleifen einfach ab. Die Menschenmenge kumulierte an einer Felsnase mit großartiger Aussicht über das gesamte Tal.



Angeleinte Hunde saßen hechelnd auf dem Wanderweg, Pausierende bissen in ihre Stullen und Fotografen mit Stativ fingen die Szenerie ein. Der Blick über die Landschaft war aber in der Tat auch wirklich toll.



In inzwischen beträchtlicher Tiefe wand sich die Bode zwischen den bunter werdenden Bäumen, und auf dem Felsmassiv gegenüber sah man winzige Menschen, die hinter einem schützenden Geländer offenbar ebenfalls den Ausblick genossen.



Ich hatte aber trotz des grandiosen Blicks den Wunsch, die Menschenansammlung bald hinter mir zu lassen, und nachdem wir um die Felsnase gebogen waren, wurde es wieder deutlich ruhiger. Absurd angesichts des Geländes erschienen mir allerdings die beiden entgegenkommenden Mountainbiker in Radkluft und mit Helm, die mühsam schnaufend ihre Räder über den felsigen Weg schoben. Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass man irgendwo auf diesem Weg tatsächlich durchgehend und mit Spaß radfahren kann. (Mal davon abgesehen war es auch nicht erlaubt, aber im Pochen auf Verbote sind wir Deutschen ja spitze, während wir es mit der Einhaltung derselben bisweilen eher flexibel halten.)

Das Laufen wurde nun zunehmend entspannter. Der Weg näherte sich langsam wieder dem Ufer der Bode, die in Schleifen durch das Tal verlief.



Hier und da hatte man direkten Zugang zum Ufer, und Paare oder kleine Grüppchen hatten sich nette Sitzplätze am Wasser gesucht. Überhaupt ist uns positiv aufgefallen, dass wir viele junge Leute zu Gesicht bekommen haben. Das Wandern verliert offensichtlich sein biederes Image.

Der Weg mäanderte durch Mischwald in Richtung Treseburg, mal ging es ein bisschen bergauf, mal wieder etwas bergab, aber nie bis an den Rand der Anstrengung.





Die fahle Sonne leuchtete durch die Bäume, hin und wieder zeigten sich allerdings jetzt auch dichtere Wolken. Wir hofften inständig, nicht in den Regen zu kommen. Im Zweifel würden wir von Treseburg einen Bus zurück nach Thale nehmen. Als das Örtchen aber schließlich zwischen den Bäumen auftauchte, war es nach wie vor trocken. Unsere Laune war gut, auch wenn S. zunehmend ein bisschen maulfaul geworden war, weil müde. In Treseburg suchten wir uns zwecks Update der Energiereserven ein kleines Lokal, wo S. Kartoffelpuffer mit Apfelmus verspeiste und ich eine Soljanka (nachdem ich mir habe erklären lassen müssen, worum es sich dabei handelt). Dann beschlossen wir, es drauf ankommen zu lassen und auch den Rückweg zu Fuß anzutreten.

Also bogen wir südlich von Treseburg knapp hinter dem Örtchen wieder auf einen Wanderweg ab, der uns mit deutlichem Anstieg hinauf zum Weißen Hirschen führte, von wo sich eine schöne Aussicht bot.



Nach dieser anfänglichen Anstrengung war der Rest des Weges locker zu gehen. Wir kamen irgendwann auf eine breitere Forstpiste, wo wir entspannt nebeneinander laufen konnten.



Der fortschreitende Tag gönnte uns noch mal eine gute Portion Abendsonne, Regen stand offenbar nicht zu befürchten. Unsere einzigen Sorgen galten dem Einsetzen der Dunkelheit.



Der Rückweg nach Thale erwies sich aber als erheblich kürzer als der Hinweg, weil wir ja nicht den Flussschleifen folgen mussten, sondern in relativ geradem Weg durch den Wald gehen konnten.



Irgendwann erreichten wir die Rückseite des Tierparks, woraufhin sich ein angeregtes Gespräch um den Sinn von Zoos und um wieder in Deutschland vorkommende Wildtiere zwischen uns entspann, und ohne es wirklich richtig bemerkt zu haben, standen wir dann urplötzlich auf dem zum Hexentanzplatz gehörenden Parkplatz. Die Unmenge von Fressbuden dort hatte bereits geschlossen, die Souvenirhändler räumten die letzten Ständer mit Hexenfigürchen made in China weg und schlossen ihre Türen. Das Ausmaß des touristischen Rummels, der hier herrschen musste, ließ sich gut erahnen. Der Ausblick vom Hexentanzplatz ist dennoch schön, aber bei vollem Trubel würde ich mir das nicht freiwillig geben.



Die Kabinenbahn war so gerade noch in Betrieb, als wir bei der Bergstation ankamen, und so gönnten wir uns kurzerhand eine Gondelfahrt hinunter nach Thale, die uns noch einmal einen atemberaubend schönen Blick auf die schroffe Landschaft mit ihren herbstbunten Bäumen bot. Insgesamt waren wir an dem Tag rund 17 Kilometer unterwegs gewesen, die sich durch leichten Muskelkater, vor allem aber durch jene angenehme körperliche Erschöpfung bemerkbar machten, nach der man so wunderbar gut schläft. Was wir dann (nach einem guten Abendessen in der Quedlinburger Altstadt) auch taten.

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