Sturmflut
Wer nicht genießt... (Quedlinburg 3)
Einer der nachhaltigsten Eindrücke aus Quedlinburg war kulinarischer Art, weshalb ich dem Essen ein eigenes Kapitel widmen möchte.

Wenn man eine Pension mit Frühstück bezieht, ist man darauf angewiesen, alle anderen Mahlzeiten irgendwo auswärts einzunehmen. Gemessen an den Erfahrungen des letzten Jahres im Weserbergland rechnete ich auch dieses Mal mit dem üblichen Angebot von Schnitzel in allerhand Varianten (was bedeutet, unter allerhand verschiedenen Soßen) und pappigen, fertig belegten Brötchen aus der Bäckervitrine. Aber ach... Quedlinburg und Umgebung waren im Bezug auf Essen und Genuss eine Offenbarung.

Bereits am ersten Tag, als wir nach unserer nachmittäglichen Ankunft und dem Bezug unseres Zimmers zwecks Erkundung durch Quedlinburg schlenderten, wurde ich mit dem besten Käsekuchen konfrontiert, den man sich auf dieser Welt überhaupt nur denken kann.

Nachdem wir die alte Neustadt und die Altstadt in enger werdenden Kreisen erkundet hatten, näherten wir uns einer Crêperie. Von außen grüßte uns ein schnörkeliges, grünes Portal, ein paar Stühle auf dem Bürgersteig, drinnen einladende, warme Beleuchtung. Uns war nach einem Päuschen bei koffeinhaltigem Heißgetränk.



Im Inneren sah es aus wie in jemandes privatem Wohnzimmer. Eine bunte Mischung aus lauter verschiedenen Stühlen, absolut nicht zueinander passend gestaltete Wände, alte, sepiafarbene Fotoportraits, eine Flohmarktgarderobe, gestreifte Tapeten und über dem Eingang ein halbes Dutzend Uhren, die alle unterschiedliche Zeiten zeigten.



Dicke Bildbände lagen herum und im Durchbruch eines Fachwerks lag ein Harry-Potter-Band. Schräg auf der Ecke einer gestreift tapezierten Zwischenwand thronte ein Sombrero.



S. entschied sich für ein herzhaftes Crêpe mit Tomaten und Mozzarella, und ich nahm das besagte Stück Käsekuchen. Dessen Geschmack katapultierte mich bereits beim ersten Bissen in die Welt der Glückseligkeit. Der Kuchen war warm, fluffig, aromatisch, einfach hinreißend.



Das gestand ich dann hinterher auch dem Kellner, von dem ich vermute, dass er auch der Besitzer des Ladens war. Ich hatte das Gefühl, er sei so kurz davor, mir das Rezept zu verraten, aber er behielt es dann, vermutlich aus ökonomischen Gründen, doch für sich.

Derart kulinarisch beglückt hatten wir dann wieder Energie, weitere Winkel der Stadt zu erkunden. Eine am Geländer des Mühlgrabens lehnende Tafel verkündete das Speiseangebot des Adelshofes, das wir überflogen und für eine spätere Einkehr im Kopf behielten. Wir traten durch den Torbogen in den Innenhof des Adelshofes, wo ein Feuerkorb auf knubbeligem Kopfsteinpflaster stand und warmen Schein, Knistern und den Geruch von Holzrauch verbreitete.



Nach der ausgiebigen Bodetal-Wanderung am darauffolgenden Tag erinnerten wir uns dessen und aßen dort zu abend. Dieses Mal gab es für mich das obligatorische Schnitzel mit feinen Fritten und Letscho (da musste ich nachfragen, ähnlich wie bei der Soljanka), während S. eine Ofenkartoffel mit Lachs vertilgte. Der Erlös des Restaurants im nett restaurierten Rittersaal fließt in den Denkmalschutz. Auch hier: Lecker, lecker. Alles war prima auf den Punkt zubereitet, das Letscho nicht mit der Instant-Soße zu vergleichen, unter der viele Gastwirte ihre Schnitzel ertränken, und wir beide räumten unsere Teller inklusive Salatgarnitur leer bis auf den letzten Krümel.

Der nächste Tag bescherte uns Dauerregen. Abends wollte mich S. anlässlich meines Geburtstages zum Essen einladen, und sie hatte dafür ein Steakhaus ins Auge gefasst, dessen Angebot mich aber nicht wirklich überzeugte. Die meisten Restaurants machten um 17 Uhr auf, und so hatten wir uns bis dahin Zeit und Hunger zu vertreiben. Das ging ganz gut, wir verbrachten eine ganze Weile drinnen im Schlossmuseum und der Stiftskirche.

Vorher hatte es uns ins Café Samocca verschlagen, wo es zahlreiche verschiedene Kaffeesorten gibt, die vor Ort von den Mitarbeitern selbst geröstet werden. Dort arbeiten Menschen mit Behinderung in der Bedienung, im Service, an der Kasse. Wir fühlten uns sofort wohl, bekamen heiße Schokolade (für mich mit Sahne) serviert und nach einer Weile bekam ich auch noch ein frisch gebackenes, warmes, mit Marzipan gefülltes Croissant. Draußen in der Gasse prasselte der Regen herunter, und wir hätten uns drinnen nicht wohler fühlen können.



Nach dem mehrstündigen Besuch auf dem Schloss meldete sich aber bereits wieder der Magen, und wir knobelten herum, wie sich das Problem am besten beseitigen lassen würde, ohne dass wir uns total die Bäuche vollschlagen und uns damit den Appetit für das Abendessen verderben würden. Wir entdeckten nah beim Schloss ein Pfannkuchenhaus, das draußen auf Tafeln mit allerhand Leckereien lockte, aber vorher machten wir noch einen Abstecher in einen Senfladen. Außer vielen, vielen verschiedenen Senfsorten von fruchtig bis herzhaft wurden hier auch noch diverse Bio-Produkte geboten, Gewürze, Harzer Wurst und allerhand mehr. Wir erstanden beide kleine Gläschen mit Senf als Mitbringsel und huschten dann durch den Regen in Richtung Pfannkuchenhaus.

Dort gab es statt Pfannkuchen für uns dann frisch gebackene Waffeln, für S. in warmer Vanillesoße schwimmend, für mich mit Zimtsahne und Pflaumenmus. Auch hier gab es wieder ein sich schlagartig einstellendes Wohlgefühl, noch verstärkt durch das grauslige Wetter draußen.

Was das Abendessen betraf, konnten wir uns bezüglich des Restaurants zunächst nicht wirklich einigen. Letztlich landeten wir dann beim "Benedikt" an der Marktkirche, das, nachdem es gerade die Türen für das abendliche Geschäft geöffnet hatte, auch schon wieder beinahe ausgebucht war. Wir hatten aber Glück und bekamen noch einen Tisch im Erdgeschoss.



Erst, nachdem ich meine Wahl getroffen hatte, fiel mir auf, dass ich das teuerste Gericht auf der Karte genommen hatte, was mir unsäglich peinlich war, weil S. ja diejenige war, die bezahlte. Ich bat sie um Entschuldigung, aber von einer anteiligen Kostenübernahme wollte sie natürlich nichts hören. So landeten auf unserer beider Teller an diesem Abend Steinpilze - auf ihrem kombiniert mit Pasta, auf meinem mit irischen Rindersteaks und gefüllten Gnocchi. Genuss pur, vor allem, weil ich finde, dass deftigere Sachen so wunderschön in den Herbst passen. 200 Gramm Steak sind nicht eben wenig, und so rollte ich mehr zur Pension zurück, als dass ich lief.

Letzte kulinarische Station war schließlich Halberstadt, wo wir strandeten, weil S. nicht gern nach Bad Sachsa zurückfahren wollte, nachdem sie mich dort zu Beginn unserer gemeinsamen Zeit abgeholt und festgestellt hatte, dass ihr das Autofahren im Gebirge ob der vielen Kurven erhebliche Übelkeit bescherte. Von Quedlinburg nach Halberstadt hingegen fährt es sich auf weitestgehend geraden, ebenen Straßen, und so reiste ich zurück nach hause nördlich des Harzes und nicht südlich, wie ich gekommen war.

In Halberstadt hatten wir uns zunächst den Dom angeschaut und dann Hunger bekommen. In einem direkt in der Nähe des Doms befindlichen, sehr netten Restaurant fanden wir einen Platz und ein tolles Speisenangebot vor. Dieses Mal gab es Gemüsesuppe für S. und Bio-Rührei mit Schinken vom Harzer Höhenvieh und Pfifferlingen für mich, und wieder war's ein Hochgenuss. Das Kuchenbuffet direkt am Eingang ignorierten wir dieses Mal geflissentlich, auch wenn das wirklich alles andere als einfach war.

So, und wer jetzt noch keinen Appetit und keine Lust auf Genuss verspürt, der tickt irgendwie nicht richtig. Man sollte meinen, dass wir für diese Art der Verköstigung ein halbes Vermögen ausgegeben haben, aber das war nicht der Fall (wenn man von dem Preis des irischen Rindes mal absieht, welcher aber auf jeden Fall gerechtfertigt war).

Um mein Gewicht habe ich mir bei all dem übrigens nicht die geringsten Sorgen gemacht, während S. schon grundsätzlich auf Sahne verzichtete, gleich ob zum Kakao oder zu Waffeln - ob sie das aus diätetischen Gesichtspunkten heraus tat, weiß ich nicht. Aber als ich dann heute dies hier las, wurde mir wieder mal klar, was für ein großes Geschenk es ist, wenn man wirklich genießen kann. Ohne Kalorienrechnerei, ohne Angst und schlechtes Gewissen. Gern auch 200 Gramm Rindersteak.

Und so bleibt als Schlusswort nur dieses: