Sturmflut
Dienstag, 5. April 2011
Unerträglich
6,93 Milliarden Menschen leben auf der Erde. Schon rein statistisch kann es also nicht sein, dass ich jeden leiden kann - aber ich kann nicht einmal jeden leiden, den ich kenne. Ich habe auch gar nicht den Anspruch, mit jedem und allen in Harmonie zu leben. Es gibt Leute, mit denen habe ich nur so viel Kontakt wie nötig und würde im Traum nicht darauf kommen, meine Freizeit mit ihnen verbringen zu wollen. Es gibt natürlich auch Menschen, von denen ich kaum genug bekommen kann und mit denen jede verbrachte Minute einen besonderen Wert besitzt, selbst dann, wenn man sich mal auf den Geist geht oder uneins ist.

In allen Fällen von persönlicher Abneigung kann ich aber die Grundlage des Gefühls recht gut benennen. Manche Menschen besitzen einfach Charaktereigenschaften, die ich als inkompatibel mit meinen empfinde. Andere Menschen finde ich unsympathisch, oder sie sind einfach nicht mein Typ. Das ist mir während des Studiums oft passiert: Ich treffe jemanden, mir werden Kommilitoninnen oder Kommilitonen vorgestellt, und ich empfinde sofort eine ganz tiefgehende Fremdheit und spüre, das ist nicht meine Welt. Damit kann ich umgehen.

Beispiel: Cecile. Cecile konnte ich vom ersten Augeblick an nicht ausstehen. Sie war ungeheuer affektiert und gewollt rotzig und provokant, äußerte sich herablassend über andere und stellte permanent heraus, als wie cool sie sich selbst empfand. Cecile war ein Mensch vom Typ "Übersieh mich bloß nicht!!", mit ungeheuer großer Klappe und dem Drang, sich dauernd in den Vordergrund zu stellen. Das Schicksal wollte es nun aber, dass durch lose Verbindungen Cecile im Freundeskreis hier und da immer wieder auftauchte. Ich mied sie, soweit ich konnte und fand sie einfach nur nervig. Aber ansonsten ließ mich Cecile weitestgehend kalt. Inzwischen habe ich schon fast vergessen, dass es sie in meinem Leben überhaupt mal gab (und habe sie nur für diesen Eintrag hier aus meinem Gedächtniskeller wieder heraufgeholt).

Einen Menschen gibt es allerdings, dessen Gegenwart setzt mich so sehr unter Strom, dass ich am liebsten weglaufen möchte. Wer er ist und wie er heißt, spielt hier gerade keine Rolle, ich kann aber Begegnungen mit ihm nicht aus dem Weg gehen. Wenn ich ihn reden höre, ist jedes einzelne seiner Worte für mich wie ein Gewehrschuss - ich schrecke jedes Mal zusammen, wenn er den Mund aufmacht. Der Klang seiner Stimme macht mich nervös und angespannt. Seine Sprachmelodie bringt mich auf die Palme und überfordert mich. Ja, es gibt auch tausend gute Gründe, ihn nicht zu mögen. Ich habe einfach nichts übrig für Leute, die dauernd einen auf "dicke Hose" machen müssen. Ich mag keine Dampfplauderer. Ich mag keine Angeber. Ich mag keine Fassadenmenschen. Ich mag seine Respektlosigkeit anderen gegenüber nicht. Er ist witzig, charmant, originell, nicht auf den Mund gefallen - und dieser Eindruck hält nach dem ersten Kennenlernen maximal etwa einen Monat an. Dann fängt seine Art allmählich an zu nerven. Es gibt an diesem Mann keinen Knopf zum Stummschalten. Es gibt ihn nur laut. Aber das erklärt einfach nicht, warum mich sein pures Auftauchen so aufbringt. Ich könnte mit ihm so verfahren wie mit Cecile, auch wenn beide vom Schlage "Nicht zu ignorieren!" sind. Aber es kratzt mich, es berührt mich, bedrängt mich und überschreitet meine Grenzen, sobald dieser Mensch am Horizont auftaucht. Es tut mir fast körperlich weh. Ich möchte ihm an die Gurgel gehen, ihn anschreien, er solle das Maul halten und verschwinden, damit ich ihn nicht sehen muss.

Alle interne Spurensuche war vergeblich. Verhaltensparallelen zu meinem Vater sind deutlich vorhanden, aber das war bislang die heißeste Spur, und es hat sich noch kein "Wie Schuppen von den Augen"-Effekt eingestellt. Anregungen?

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