Sturmflut
Freitag, 8. April 2011
Vertrauen
Mein Misstrauen ist mir im Laufe all der Zeit einfach so unter den Pelz gekrochen, ohne dass mir das je recht bewusst wurde. Erst langsam habe ich während der letzten paar Jahre erkannt, wie sehr ich mich früher abgekapselt habe. Alles, was mich ausmacht, habe ich zurückgehalten - ganz normale Lebensäußerungen, meine Vorlieben und Interessen, meine Probleme und Gefühle, meine Fehler, aber auch meine Vorzüge. Ich tue das heute noch oft, die Angst hegend, dass ich mit meiner Art nicht in Ordnung bin, andere störe, anecke.

Wie sich ein solches Verhalten anfühlt, und wie es sich anfühlt, wenn man plötzlich erkennt, wie man tickt, das ist nur sehr schwer zu beschreiben. Fast reflexartig, wie eine Mimose, kann ich mir die Decke über den Kopf ziehen. Ich halte den Atem an, angespannt und aufmerksam, um herauszufinden, wieviel Ich ich mir leisten kann. Ich tat und tue das, ohne darüber nachzudenken. Es ist mir wie zweite Haut. Offenheit, Offenbarung, ich selbst sein - das war in höchstem Maße bedrohlich. Ich war (und bin es häufig noch immer) ein Sensibelchen, mit superempfindlichen Antennen für feinste Abweichungen in Wort, Mimik, Gestik, Tonfall und Habitus meines Gegenüber. Immer auf der Hut vor dem kleinsten Anzeichen der Zurückweisung. Der Preis: Ich bin eine Burg. Zu mir gelangt nur, wen ich lasse. Im Innern ist es kalt, klamm, dunkel und bisweilen sehr einsam.

Der Unterschied zu gestern ist, dass ich es weiß. Jetzt erobere ich neues Territorium und mache neue Erfahrungen. Ich bitte um Hilfe, wenn ich sie brauche. Ich spreche von dem, was mich beschäftigt. Ich wage es, mich nicht an den vermuteten Erwartungen anderer zu orientieren, sondern meine Schultern fallen zu lassen, die Beine hochzulegen und ich selbst zu sein. Ich wage es, meine Gefühle zu offenbaren. Immer öfter ist meine Seele nackt.

Was geschieht, ist eine Kettenreaktion. Je öfter ich mich öffne, um so deutlicher spüre ich, dass ich in mein inneres Gefängnis nicht wieder zurück möchte und kann. Vorsicht! mahnt meine Stimme im Inneren und bringt alte Verletzungen zurück ins Gedächtnis. Aber endlich, endlich erreicht mich auch, was andere mir entgegenbringen. Eigene Gefühle, Mitgefühl, viel Charakter und sehr viel Respekt. Jetzt, da ich nicht mehr mit der dauernden Bewachung meiner dicken Mauern beschäftigt bin, sehe und fühle ich plötzlich die eigene Menschlichkeit ebenso wie die anderer. Ich spüre, dass mir nichts geschieht und ich weiß auf einmal, dass ich wieder aufstehen kann, falls ich falle.

Ich finde mich unverhofft in einer Welt wieder, in der ein Name ein Geschenk sein kann statt ein Schimpfwort.

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