Sturmflut
Montag, 18. April 2011
Der eigene Blick
Nach meinem samstäglichen Heimwerker-Anfall, den ich beim Schwinden des Tageslichtes garniert mit Schleifstaub und Farbklecksen beendete, war mir abends danach, vor der Dusche und dem Schlafengehen noch ein wenig fernzusehen. Ich geriet planlos und unvermittelt in eine Ausgabe des Magazins "Metropolis" auf Arte und blieb dort hängen.

Der erste Beitrag drehte sich um die Frauen in Italien, die die unerträglichen Faxen ihres Regierungschefs satt hatten und auf die Straße gingen, um gegen das durch die italienischen Medien gezeichnete Frauenbild zu protestieren. Die Bilder der Demonstrationen berührten mich sehr. Sie erinnerten an die Zeit der zweiten Frauenbewegung, und es waren solche Massen auf den Straßen, wie es hierzulande undenkbar ist. Die Gesichter der demonstrierenden Frauen, die der Kameraschwenk erfasste, waren so angenehm anders, so erfrischend menschlich im Vergleich zu den glatten, "perfekten" Figuren, die uns Medien und Werbung auch hier in Deutschland immerzu präsentieren. Auch die im Bericht zu Wort kommenden Frauen hatten allesamt Profil, sie waren interessant, offensichtlich klug und zugleich attraktiv, ohne in Schablonen passen zu müssen.

Eine von ihnen, Lorella Zanardo, hat einen sehenswerten kritischen Kurzfilm über das Bild der Frauen in den italienischen Medien gemacht. Was ihr Zusammenschnitt aus zum Teil öffentlich-rechtlichen TV-Sendungen zeigt, grenzt an Softpornografie, scheint aber in Italien Gang und Gäbe zu sein.

Neben der Absurdität des verzerrten Frauenbildes, die in diesem Kurzfilm deutlich zutage tritt, gibt die Regisseurin auch einige kluge Dinge zu bedenken, von denen mich eines am meisten beschäftigt: Mit wessen Augen sehen wir Frauen uns eigentlich?

Zanardo merkt an, dass sich die Bandbreite der Möglichkeiten, was und wie eine Frau sein kann, aufgrund des propagierten und von vielen Frauen auch fraglos akzeptieren Frauenbildes mehr und mehr einengt. Wenn auch nicht in so krasser Form, so läuft es bei uns doch mehr oder weniger genau so. Die Werbung (wenn wir sie uns denn ansehen, und ich glaube, das tut doch die Mehrheit) sagt: Du musst vor allem schön sein. Schön sein heißt: Habe langes, glänzendes Haar. Habe dichte, lange Wimpern. Habe glatte Haut. Habe lange Beine. Habe ein makelloses, faltenfreies Gesicht. Habe perfekte Proportionen. Habe zarte Hände. Habe eine schlanke Taille. Habe volle Lippen. Habe einen knackigen Po. So schleichen sich Ideale in unsere Köpfe, ohne dass wir es recht merken. Uns wird vorgegeben, wie wir zu sein haben, um "richtige" Frauen zu sein und uns begehrenswert zu machen. Wir machen uns zur Ware, ohne uns dessen bewusst zu sein, wenn wir diesen Idealen folgen.

Die Frage, wessen Blick auf uns es ist, dem wir da eigentlich folgen, ist aber noch ungeklärt. Ich weigere mich zu glauben, dass es generell der Blick der Männer ist und dass es die Männer sind, die uns so haben wollen. Wenn ich den eigenen Herrn Gemahl zum Thema befrage, dann spüre ich bei ihm immer eine ganz intensive Abneigung gegen alles normierte, unnatürliche. Er mag nicht mal Lippenstift (aber ich zum Glück auch nicht) und entgegnet meinen manchmal etwas verzagten Nachfragen, ob ich nicht meine Beine mal wieder rasieren müsste, mit der knappen Antwort: "Meine Güte, Frauen sind nun einmal auch Wesen mit Haaren!" Ich finde das charmant, auch wenn ich meine Beine lieber ohne mag. Männer seiner Art kenne ich noch mehrere, also kann nicht pauschal gelten, dass es ein Männerblick ist, der uns in dieses Korsett zwingt und uns all die Bedürfnisse und Bewertungen aufnötigt, die so offensichtlich nicht unsere eigenen sind.

Ich glaube, die Angelegenheit geht noch eine Stufe tiefer (und auch zu dem Gedanken inspirierte mich Frau Zanardo): Es ist die Negation der Persönlichkeit, die dort stattfindet. Lorella Zanardo bemerkte treffend, aber fast nur am Rande, dem gestrafften, gelifteten, zwanghaft jungen Gesicht fehle vor allem eines, nämlich die Persönlichkeit. Mit all den Jahren, die ein Mensch erlebt, addieren sich zu seinem Aussehen Zeichen seiner Erfahrungen hinzu. Das Erlebte spiegelt sich in Falten, Ecken, Kanten, Narben, fehlenden Haaren. Bei Männern scheint das kaum einen zu stören (auch wenn sich hier und da ein entgegengesetzter Trend einzuschleichen scheint, was schlimm genug ist). Ich liebe an meinem Gatten ganz besonders die so böswillig Krähenfüße genannten Falten um die Augen, die ein Zeichen dafür sind, wie viel er lacht und lebt. In meiner eigenen Stirn zeichnet sich ansatzweise eine steile Längsfalte ab, die wohl von manchem Nachdenken herrührt, aber vielleicht auch von unterschwellig vorhandenem Zorn. Wie ich aussehe ist also ein Teil von mir, macht mich aus und gehört zu mir in meinem So-Sein.

Genau das So-Sein als vollständige, akzeptierte Persönlichkeit scheint aber das zu sein, das wir Frauen möglicherweise nicht ausreichend gelernt und das die Männer in der Vergangenheit vielleicht auch nicht ausreichend akzeptiert haben. Noch nicht allzu lange ist es her, da hatte eine Frau überwiegend bitte den Mund zu halten zu allen brisanten Themen und vor allem adrett auszusehen. Dabei ist aber das, was an Meinung in mir wohnt, ein Bestandteil meiner Person und muss zum Zwecke meiner Vollständigkeit geäußert werden dürfen. In einer freien Welt, die die Menschlichkeit von Mann und Frau zur Basis hat, muss erlaubt sein, Person zu sein. Andernfalls bin ich in der Tat nur Objekt, Dekoration, oder wie Frau Zanardo es treffend beschrieb: Ein Schnörkel in der Welt der Männer. Es mag die Angst vor der Ablehnung sein, die so viele Frauen in die zwanghafte Anpassung an das Ideal treibt. Ich glaube, der Trend hin zum Stereotyp resultiert aus der Unfähigkeit, sich selbst zu betrachten, und zwar mit wirklich keinen anderen als den eigenen Augen. Von Beginn an wird uns das Bild vorgegeben, und zwar nur dieses eine. Etwas anderes wird mangels Bewusstsein kaum in Betracht gezogen, allenfalls kleine Spielarten desselben Themas.

Das Thema heißt: Verleugne Dich selbst. Verleugne die Persönlichkeit und das, was sie mit Dir macht. Verleugne Deine Chance zu innerer Unabhängigkeit und Freiheit zugunsten einer Anpassung bis hin zur Unkenntlichkeit. Verleugne Deine Möglichkeiten zu echter Tiefe. Verleugne, dass Du Du bist.

Mir kam das Phänomen der Konkurrenz in den Kopf und damit schlagartig der Gedanke, wie unterschiedlich sie bei Männern und bei Frauen ist. Zwar mögen Männer bedacht sein auf ihr Image bei Frauen, wenn sie miteinander in Konkurrenz treten. Dennoch ist ihr Blick auf sich selbst ausschlaggebend, wenn sie bewerten sollen, wer von zweien denn nun der bessere ist. Sie messen sich auf eigenem Terrain. Unter Frauen ist es indessen oft so, dass sie miteinander darum konkurrieren, welche von beiden bei dem Angebeteten oder generell bei der männlichen Zielgruppe besser ankommt. Sie konkurrieren nicht auf eigenem Gebiet, sondern in einem fremden Bewertungsschema. Ich sehe das oft im Alltag in meinem Arbeitsleben: Wenn eine Frau neu hinzukommt, hat sie meist noch etwas eigenes. Aber spätestens nach einigen Monaten wandeln sie sich, gleichen sich einander an, werden ähnlich, bis schließlich nichts weiter als ein Abziehbild bleibt. In diesem Falle das Bild einer Frau, von der sie sich vorstellen, dass sie beim Chef gut ankommt. Während ein Mann im Konkurrenzkampf optimalerweise an Profil gewinnt und heraussticht, nivelliert die Frau die Unterschiede, in denen ihre Person vom vermeintlichen Ideal abweicht. Heraus kommt eine Unperson, eine innerlich wie äußerlich Uniformierte.

Wir haben Angst, einfach zu sein. Mein Verdacht ist, dass das geschieht, weil wir der Fehlannahme aufgesessen sind, dass wir als Frauen alles, was wir zum Leben brauchen, erhalten, wenn wir attraktiv gefunden werden. Mit Liebe hat das nichts zu tun, denn wer liebt schon ein Abziehbild? Liebe ist das, was zwischen erwachsenen Personen stattfindet. Wie es aussieht, fürchten wir uns zu sehr, um zu verstehen, dass Liebe wie Selbstliebe Persönlichkeit erfordert.

Es gibt sie tatsächlich, die Frauen, die Persönlichkeiten sind und das auch ausstrahlen. Wann immer ich Berichte über solche Menschen sehe oder ihnen begegne, habe ich eine Gänsehaut und begreife plötzlich, welches Potential in jeder von uns steckt - so auch in mir - weit jenseits der peinlichen, glanzlackierten und glattgezogenen Witzfiguren.

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