Sturmflut
Mittwoch, 23. November 2011
Übers Heiraten
Gestern fiel mir mal wieder so eine alberne Hochzeits-Publikation in die Hände, voller seidener Träume, Rosen, Tauben, Ringen und zarter Spitze. Immer, wenn ich so etwas zu Gesicht bekomme, muss ich an die Hochzeiten denken, die ich erlebt habe. Das sind nicht allzuviele. Die meiner Cousine (lange her), die meiner Schwester, die von A. (auf pompös-polnische Manier), meine eigene, dann die von I. und die Trauung meiner Schwägerin. Weitere Freundinnen sind nach wie vor (verzweifelt) ledig oder in "wilder Ehe" gebunden. Freundin S. hat sich schon einen Namen gemacht als die "ewige Trauzeugin".

Ich staune immer wieder angesichts des Tam-Tams, das in Sachen Hochzeit veranstaltet wird. Meine Schwester bescheinigte mir prompt mangelnde Bindungsfähigkeit, als ich ihr offenbarte, dass der Gemahl und ich uns gegen Eheringe entschieden hätten. Das Problem war kein pekuniäres - sie hätte uns die Ringe bezahlen wollen. Auf meine Ablehnung erwiderte sie nur: "Ach, willst Du nicht, dass jeder sieht, dass Du verheiratet bist?" Damals traf mich das noch. Neulich, als wir sie besuchten, glaubte sie, die beiden schlichten, silbernen Ringe, die ich an der rechten Hand trage, seien unserer beider Eheringe. Aber das sind sie nicht. Das ist einfach nur Schmuck, befreit von jeglicher symbolischen Bedeutung.

I. ist da ähnlich nüchtern veranlagt wie ich, heiratete standesamtlich im schwarzen Blazer und bekam anschließend von der Dudelsack-Band ihres frisch angetrauten Ehemannes ein Ständchen. Mich beruhigte das irgendwie, denn meine gesamte Verwandtschaft gab mir zu verstehen, dass ich irgendwie eigenartig und ganz sicher von meinem Anzutrauenden seltsam beeinflusst sei, als ich sagte: "Nein, ich will keinen Brautstrauß, ich käme mir damit lächerlich vor!", "Nein, wir heiraten nur standesamtlich!", "Nein, ich brauche kein Brautkleid!", "Nein, wir machen nur ein kleines Buffet im Haus der Schwiegereltern...!" Tapetentisch im eigenen Haus wäre auch okay gewesen, aber selbiges befand sich noch in Renovierung. Ich kam mir bei alledem nicht einmal besonders vor, ich wollte nur einfach nicht mehr.

Wenn ich dann sehe, was für ein Buhei ums Heiraten gemacht wird, um diesen angeblich schönsten Tag im Leben, dann wird mir bisweilen richtiggehend übel. Das Ganze scheint für viele Menschen eine Veranstaltung zu sein, auf die monate-, jahre- oder gar lebenslang hingefiebert wird. Der Tag als solcher wird schon im Vorfeld ausgiebig geplant, im Zweifel auch mit sogenanntem "Weddingplanner", es wird generalgeprobt und alles, von der cremefarbenen Rose am Revers des Bräutigams bis hin zur Menüfolge, genauestens arrangiert. Wie mir das zuwider wäre, dieses durchgestylte Prinzesschen-Ambiente, das "Heiraten in stilvollem Rahmen". "Individuelle, musikalische Untermalung von CD nach Absprache möglich" - wieso denke ich da immer automatisch an Elton John, Whitney Houston und Brautmütter mit Taschentüchern?

Und dann die "besonderen" Locations. Standesamt reicht nicht mehr, für die ganz "individuelle" Trauung muss es das "Burgzimmer", der "Rittersaal", das Fahrgastschiff oder der Leuchtturm sein. Tauben werden losgelassen, Oldtimer und Stretchlimousinen gemietet, und man kommt sich dabei originell vor, denn das hat ja so kein anderer... Bei meiner Schwester war es das im klassizistischen Stil erbaute Kurhaus mit Säulengang und Innenhof.

Kleider sind ein ganz eigenes Kapitel. Ich hätte es mir beim besten Willen nicht vorstellen können, in einem überteuerten Brautkleid, das aussieht wie ein Sahnebaiser, in dem man sich kaum bewegen kann, das man nie wieder tragen wird und dessen Farbe (kombiniert womöglich noch mit Schleier) so überhaupt nicht zu mir passen mag, meinem zu Ehelichenden romantisch-verliebt in die Augen zu schauen und nicht lauthals loszuprusten. Immerhin, die in den Achtzigern so beliebten Puffärmel sind verschwunden. Statt dessen tragen jetzt Frauen, denen es aber auch so gar nicht steht, Corsagen. Der Reifrock ist immer noch beliebt (auch wenn es einige Ausnahmen gibt, die sich zu ihrer "Mittelalter"-Hochzeit von der besten Freundin ein Elben-Gewand aus Polyestersatin mit Trompetenärmeln schneidern lassen). Ich finde, die derart herausgeputzten Bräute sehen aus wie Schaufensterpuppen: Starr, hübsch arrangiert, Dekoartikel erster Güte wie die Porzellanpuppe in der Vitrine. Als Cocktailkirsche obendrauf noch die perlengespickte, mit Hilfe des Lockenstabs fabrizierte Hochsteckfrisur, die aber leider längst nicht aus jeder Braut eine zarte, verhuschte Waldnymphe macht.

Ich kann verstehen, dass mancher zukünftige Ehemann sich vor diesem Spektakel fürchtet und es sogar zum Weglaufen findet, mindestens aber genug Anlass für eine "Noch-einmal-leben-vorher"-Party sieht. Denn mit dem Leben haben solche künstlichen Inszenierungen meiner Ansicht nach überhaupt nichts zu tun. Ansprüchliche Bräute projizieren in diesen Tag - dieses vollkommen überbewertete Ereignis - die ganze Fülle ihrer Vorstellungen zu einem glücklichen Leben, zum "...and they lived happily ever after." Es erscheint mir außerdem ein Relikt aus Zeiten, in denen es für Frauen nichts Wichtigeres gab als geheiratet zu werden - passiv, wohlgemerkt. Wie sonst ist wohl auch die Mär aufgekommen, das sei der schönste Tag im Leben einer Frau? Heißt es, danach geht es nur noch abwärts?

All die hübschen Arrangements verhindern doch nicht, dass man eventuell an diesem Tag schlecht gelaunt ist. Dass es regnet. Dass sich die Gäste betrinken. Dass wieder mal ein Verwandter aus der Rolle fällt. Das servierte Reh zäh ist, weil der Koch einen schlechten Tag hatte. Dass der Saum des "Traums in Weiß" in eine Schlammpfütze gerät. Der Bräutigam einen Autounfall baut. Der Cousin dritten Grades einen Herzinfarkt erleidet und das Blumenkind sich in die Hosen macht. Dass nach der Vernichtung des teuren Champagners die Trauzeugin Geheimnisse der Braut ausplaudert. Fährnisse, die das Leben nun mal mit sich bringt, die aber an diesem Tag (und bis in alle Ewigkeit) unerwünscht sind. Auf der Hochzeit meiner Schwester verhinderte alle sorgfältige Planung und alles Wünschen doch nicht, dass mein Vater eine miserable Tischrede hielt, die sich mehr um ihn drehte als um das Brautpaar und dass er sich später in den Kurpark zurückzog, um seiner Geliebten SMS zu schreiben. Auf der Hochzeit meiner Schwägerin verhinderte all die durchdachte Glückseligkeit nicht, dass der Bräutigam zur Kirche einen whiskeygefüllten Flachmann mitnahm und sich Mut an- oder seinen Weltschmerz wegtrinken musste.

Vielleicht ist es menschlich, sich für einen Tag das Wolkenkuckucksheim basteln zu wollen, von dem man insgeheim doch weiß, dass es nicht existiert. Vielleicht ist es normal, dass sich zu bestimmten Anlässen die Erwartungen in unermesslichem Ausmaß konzentrieren, so wie man in einem neugeborenen Kind noch alle Möglichkeiten des Glücks sieht - vor allem die, die einem selbst verwehrt blieben. Vielleicht meinen Menschen, sich auf diese Weise Erinnerungen backen zu können, von denen sie ihr ganzes Leben zehren. Wünschen ist menschlich.

Ich persönlich bin immer wieder sehr froh, mir diesen übertriebenen Firlefanz nicht angetan zu haben. Mag sein, dass es die Ehe meiner Eltern war, die mich in dieser Hinsicht desillusioniert hat. Ich habe aus sehr rationalen Gründen geheiratet - nicht etwa, weil die tiefe Liebe zu meinem Mann noch eine Bestätigung gebraucht hätte. Die irgendeines Gottes ohnehin nicht, aber auch sonst hätte ich, was meine Gefühle für ihn betrifft, gut ohne Trauschein leben können. Vielleicht waren es auch die zu dem Zeitpunkt erlebten sieben Jahre Realität, die ich mit ihm bereits geteilt hatte, die mir die Notwendigkeit nahmen, meine Vorstellung vom Glück in die Zukunft projizieren und mir ein an diese Heirat geknüpftes Besseres wünschen zu müssen. Geheiratet haben wir, weil uns das Rechte aneinander sicherstellt, die wir ohne diese Festschreibung nicht hätten. So wird keiner auf dem Krankenhausflur sagen müssen "Ich bin aber die Lebensabschnittsgefährtin/der Lebensabschnittsgefährte". So wird es keinen Streit um Hinterlassenschaften geben, über Verfügungen und Regelungen. Im Übrigen bin ich auf diese (zugegebenermaßen altmodische Weise) meinen Mädchennamen losgeworden, was nun trotz meiner Ablehnung Symbolismen gegenüber für mich eine wichtige Angelegenheit ist, zumal meine Schwiegerfamilie mir ein Ausmaß an liebevoller Akzeptanz und Solidarität zu bieten hatte, von der ich nicht einmal zu träumen gewagt hätte. Ich trage diesen Namen mit Stolz und gehöre gern zu dieser Familie.

Wenn die sorgfältig gehegten Schneewittchenträume zerplatzen (und das werden sie), dann braucht man einen Boden, auf dem man stehen kann. Mir sind jeder liebevolle Blick des Gemahls zwischen Bügelwäsche und Schreibtisch, jede Albernheit morgens zwischen Aufstehen und Badezimmer und die Gewissheit, mit diesem Menschen noch sehr, sehr viel Lebenszeit verbringen zu wollen, tausendmal mehr wert als jede peinlich-romantische Heirats-Inszenierung, die mir entgangen sein mag. Was wir haben, bedarf keiner solch abstrusen "Krönung".

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