Sturmflut
Brechreiz
Hier im Dorf tummeln sich die Bibelleser (aber natürlich nicht nur hier). Ich frage mich immer wieder, was sie treibt. Vermutlich kann ich das als nichtreligiöser Mensch nicht nachvollziehen. Dass den Zeugen Jehovas ein gewisser missionarischer Drang eigen ist, das kennt man ja noch. Aber vom vielbeklagten Schwinden des Christentums kann auch nicht die Rede sein. Wenn man allein mal das Stichwort "christliche Blogger" googelt, erhält man Treffer über Treffer über Treffer - und zwar keine solchen, die sich kritisch mit dem Phänomen auseinandersetzen, sondern eben die Blogs von Menschen, die sich als Christen verstehen.

Klar kann auch ein Christ das Bedürfnis haben, zu bloggen. Wir leben in einem freien Land, da kann jeder seine Meinung in die Weltgeschichte hinausblasen, wie er will. Darf ich ja auch, zum Glück. Das heißt aber noch lange nicht, dass mir auch gefallen muss, was da gebloggt wird. Das fängt an beim noch recht harmlosen Posten von Kirchenkalender-Fotos und persönlichen Gottes- und Glaubenserfahrungen, wobei ich ja überhaupt keine Bauchschmerzen habe. Wenn sich einer berührt fühlt und das unbedingt auf öffentliche Weise verkünden will, kann er das ja machen. Das ficht mich nicht an. Am anderen Ende des Spektrums befinden sich dann allerdings die öffentlich schreibenden Christen-Fundis, bei denen mir regelmäßig der Kamm schwillt. Da wird mir sowas von schlecht.

Erst gerade habe ich erfahren, dass sogar das berüchtige "kreuz.net" unter anderer URL wieder online ist - ja, richtig, das waren die Schweinebacken, die nach dem Tode von Dirk Bach das Wort von der Homo-Hölle publik machten, in der der arme Mann jetzt brenne. Dass er das vermutlich nicht tut, tut der Menschenverachtung nicht den geringsten Abbruch. Der homo- und islamophobe, rechtslastige Haufen ist also wieder online. Wo, das darf gern jeder selbst rausfinden, aber es ist nicht sonderlich schwer, das sei gesagt.

Ich würde mich so gern trösten mit dem Gedanken, dass die Mehrheit der Christen nicht so ist und dass diejenigen, die so sind, keinerlei Macht in unserem Land und der Welt haben. Aber das ist wohl ein bisschen naiv.

Ich frage mich, ob es einen Zusammenhang gibt zwischen Radikalität und dem Bedürfnis nach Öffentlichkeit. Zumindest habe ich das Gefühl, dass vieles von dem, was im Netz von Christen zu lesen ist, extreme Positionen umfasst. Es ist wohl vielleicht ein bisschen wie bei anderen Phänomenen auch: Von den netten, gemäßigten, entspannten Christen liest man nichts, nicht so viel oder eben nicht so viel Scheiß. Aber von dem Scheiß, den man aus christlicher Feder so liest, bekomme ich Brechreiz. Ich weiß, ich müsste das nicht lesen. Aber das hieße für mich auch, kurzsichtig ein Problem auszublenden.

Viele Posts haben mit Geschlechterfragen zu tun, und das ist ja eh immer ein rotes Tuch für mich. Erst neulich durfte ich hier im Bloggerdorf (zitierterweise, aber die Dame sammelt halt sehr eifrig anderswo) lesen, wie erschreckend es sei, dass sowohl Männer als auch Frauen sich nicht mehr an Gottes Willen hielten und nicht länger der von ihm vorgesehenen Ordnung zwischen Mann und Frau folgen.

In klaren Worten bedeutet das, dass der Mann hierarchisch betrachtet unter Jesus und über seiner Frau positioniert wird. Um das zu untermauern, bemüht man die (von Männern geschriebene) Schöpfungsgeschichte, derzufolge halt das Weib als Ergänzung zum Menschen und für ihn geschaffen wurde. Weitere Bibelzitate finden sich, anhand derer belegt wird, dass sie sich ihm demütigst unterzuordnen habe, in der Gemeinde die Klappe halten solle und so weiter und so fort... Irgendwie kennt man ja den ganzen Mist, wäre aber nicht auf die Idee gekommen, dass den nochmal jemand reanimiert. Die Frauen, die sich nicht unterordnen wollen, sind diesem Blickwinkel zufolge auch für alles Elend verantwortlich:

"(...) Als da sind Verlust der Mütterlichkeit, gestresste Familien, Überalterung, verunsicherte Männer, verhaltensgestörte Kinder usw. (...)"

Statt dessen sei es doch besser, die von Gott gegebene (und angeblich auch "natürliche") Rangfolge anzuerkennen, denn sie sei zum Wohle aller. Moment mal, zum Wohle aller? Das hieße also, auch zu meinem Wohl, die ich als verblendete, gottesferne, eiskalte und materialistische Atheistin davon natürlich nichts wissen kann? Da liegt unter anderem mein Problem, das treibt mir die Galle in den Hals. Denn wenn sie in eigenen Kreisen Frauen finden, die sich derart demütigen lassen wollen, und noch dazu mit so peinlich fadenscheinigen Argumenten und unter Berufung auf ihren konstruierten Gott, dann sollen sie. Aber wieder mal sind alle, die das nicht erkennen, noch zu beackernder Grund, haben nur Gottes Wort nicht richtig verstanden, falsche Erziehung genossen oder sind gar vom Teufel verführt worden. Da geht mir die Gelassenheit dann doch flöten.

Der schlimmste Feind der Fundibrüder und -schwestern ist der Zeitgeist. Der Zeitgeist ist das Schreckgespenst, das über allem schwebt. Schleichend erodiere er Werte und alles, was einst gut, recht und regelkonform war. Der Zeitgeist sei es, der der "Homo-Lobby" in Deutschland eine geradezu gefährlich zersetzende Macht gebe, und gern spricht man auch mal von einer "Entartung" innerhalb der Kirche, wenn sich einzelne Strömungen dem bösen Zeitgeist offen zeigen. Hassfiguren sind auch die Linken und Grünen, weil sie ja politisch für Dinge einstehen, die Hardcore-Christen gegen den Strich gehen.

Mit ekelerregender Selbstgefälligkeit schreibt diese Art von Christen in die Welt hinaus, was richtig und was falsch ist. Diese Menschen sind dabei arrogant und anmaßend, beurteilen, wer ein Recht auf Existenz, freie Entfaltung, freie Meinungsäußerung hat und wer nicht, wer irregeleitet ist und wie es besser wäre. Sie suhlen sich in ihrer Bessermenschenwelt, dass es nur so schmatzt. Homosexuelle? Sünder, allenfalls Kranke, die um jeden Preis geheilt werden müssen. Eigensinnige, arbeitende, gar kinderlose Frauen? Genderverblendete, entmütterlichte, entmenschlichte, ihrer wahren Stellung und Aufgabe entfremdete Krampf-Feministinnen, die man schleunigst zurück auf den Reproduktionspott zu setzen hat. Abtreibungsärzte? Mörder! Vergewaltigte? Selbst schuld! Frauen, die ihre Sexualität genießen? Verführerinnen, die Männer vom rechten Weg abbringen wollen! Menschen, die Spaß haben, Freude empfinden jenseits religiöser Verzückung, Hedonisten? Schlimme, verweltlichte Egoisten! Nichtgläubige? Kalte Materialisten, perspektivlos, einsam, zwangsläufig traurig, bar jeder Hoffnung.

Es ist einfach nur widerlich, das möchte ich mal gesagt haben. Zu allem kommt nämlich dann noch diese Bessermenschen-Haltung, mit der diese Typen auf ihrem hohen Ross sitzen und über andere urteilen, diese himmelschreiende Bigotterie, dass man sich an die mit eigenem Mund vielzitierten Regeln selbst nicht zu halten braucht. Die kein bisschen Selbstkritik zulässt, sondern immer nur im Namen eines imaginierten Gottes über andere richtet, fußend auf der Interpretation eines uralten, von vielen verschiedenen Menschen verfassten Buches (was schlicht Willkür gleichkommt).

Bei dem ganzen Mist ist es ziemlich egal, ob es tatsächlich einen Gott gibt. Ich bin halt der Meinung, es gibt keinen, und wer an Gott glauben möchte, kann das tun. Aber bei dieser Sorte Christen geht es schon längst nicht mehr darum. Es geht darum, der restlichen Welt vollkommen rückständige Wertmaßstäbe aufzudrücken. Das hat mit dem Wohlbefinden der Menschen, ihrer Persönlichkeit und einem befruchtenden, respektvollen Zusammenleben nichts zu tun. Die aus der Reihe tanzen, sollen korrigiert werden. Die einem Angst machen, werden diskriminiert, unterdrückt, umgepolt, unter Druck gesetzt. Die anders denken und fühlen als man selbst, werden als gefährlich stigmatisiert.

Ich hege die ganz zarte Hoffnung, dass diese Menschen in unserer Gesellschaft nicht wirkmächtig sind. Aber ich fürchte, sie sind es. Wenn schon ihr Geschrei im Netz so laut ist, wie groß ist dann wohl die Dunkelziffer derer, die so ticken? Mich persönlich macht natürlich niemand zum untergeordneten Weibchen. Kein Mensch, der mir den eigenen Kopf, die eigene Entscheidungsfähigkeit, die Eigenständigkeit oder die Interpretationshoheit über meine Gefühle absprechen wollte, wäre in meiner Gesellschaft lang oder gern gesehen. Ich fürchte mich auch nicht davor, dass Freunde oder mein Liebster plötzlich solche Anwandlungen bekämen. Was ich fürchte ist, dass solche Haltungen immer salonfähiger werden, weil die Menschen sich aus Angst vor neuen Herausforderungen (a.k.a. "Zeitgeist") lieber an Althergebrachtem, an Dogmen und starren Regeln anlehnen möchten und diese mit Werten verwechseln. So trägt sich Radikalität in die Mitte der Gesellschaft, ohne dass man es so recht merkt. Was dann aus Andersdenkenden, Anderslebenden wird, mag man sich nicht ausmalen.

Quelle des Zitats: Jörgen Bauer via Bibellese-Blog