Sturmflut
Montag, 27. August 2012
Gartenzaun-Zickereien
Wochenende. Wir sitzen drinnen, froh, die Arbeitswoche hinter uns zu haben. Ich spüle die Gläser, die ich auf dem Flohmarkt erstanden habe, während der Gatte sich You-tube-Videos anschaut. Durchs Küchenfenster habe ich freien Blick auf die Haustür der Nachbarn, auf ihr und unser Blumenbeet und den Zaun dazwischen, der das ganze trennt.

Hinter dem Zaun steht eine füllige, blondgefärbte Frau mit extrem sauertöpfischer Miene und lässt ihren Blick über die Pflanzen schweifen. Frau W.s Mutter, wie ich weiß. Frau W. selbst kniet in ihrem Beet. Ich wende mich ab und stelle die Gläser in den Schrank. Als ich wieder hinsehe, wirft die griesgrämige Alte mit angewidertem Gesichtsausdruck das ausgerissene Unkraut über den Zaun in unser Beet, wo es auf der Iris liegenbleibt.

"Ich glaub's ja nicht!" sage ich zum Gatten, der erstmal gar nicht realisiert, dass ich nicht über die Videos spreche, die er sich ansieht. Ich schildere, was ich da eben gesehen habe.

Ich koche und bin stinkwütend. Adrenalin schäumt durch meine Blutbahn. Also mache ich mich umgehend auf den Weg nach draußen.

Frau W. hockt inzwischen weiter vorn im Beet, von der Frau Mama keine Spur. Ich rufe über den Zaun.

Unser Garten ist ein Dschungel. Das weiß ich, und ich will es nicht so haben. Wir haben mehrere Problemecken, die ich mangels Energie und Zeit nicht einwandfrei in den Griff bekomme. Über den Giersch, der sich überall Bahn bricht, schrieb ich ja bereits. Dort, wo ich ihn entfernt habe, machen sich jetzt andere Wildkräuter breit. Da mit dem Jäten hinterherzukommen überfordert mich manchmal. Darüber hinaus ist mir der Garten zwar wichtig, aber es ist mir weniger wichtig, dass jedes Hälmchen kerzengerade zu stehen hat.

Zu Frau W. sage ich: "Wenn euch das Unkraut stört, dann hätte man sich darüber unterhalten können. Aber irgendwelches Zeugs über den Zaun zu werfen, das hätte nicht sein müssen!" Ich bin gewaltig angepisst. Frau W. entgegnet, ja, das würde sie stören, zumal es jetzt blühe, und sie käme mit allem gar nicht mehr nach, sie sei gerade aus dem Urlaub zurück, und überhaupt, man sähe uns ja nie, wir seien ja nicht da - wie man da denn bitte sprechen solle? Ihr Gesichtsausdruck gleicht dem ihrer Mutter - pikiert, gestresst, genervt. Als ich noch einmal nachhake wegen des geworfenen Unkrauts outet sich die inzwischen wieder hinzugekommene Mutter, beinahe ein bisschen stolz: "Ja, das war ich!" Ich betone, dass ich das nicht witzig finde. Die Frau Mama sagt halblaut irgendwas, das ihrer Tochter ein grantiges "Oh, Mama!" entlockt. Ich betrachte die Diskussion als beendet, immer noch fassungslos über das Kindergarten-Verhalten dieser auch schon längst nicht mehr ganz jungen Frau. Sympathisch war sie mir nie, jetzt ist es allerdings so weit, dass auch meine letzten Höflichkeits- und Anstands-Gedanken sich seifenblasengleich in Nichts auflösen.

Wir sind ja nie da? Man sieht uns ja nicht? Ich sehe das junge Paar von nebenan beinahe täglich. Wenn ich von der Arbeit heimkomme und mein Rad in den Schuppen schiebe. Manchmal auch morgens. Man winkt, grüßt sich. Dem Gemahl geht's ähnlich, erst jüngst wechselte er über den Zaun noch ein paar nette Worte. Wiederholt haben wir auch gefragt, ob es störend ist, dass Chinaschilf und großes Immergrün ihre Ausläufer bisweilen auf die andere Seite des Zauns schieben, und uns wurde versichert, das sei kein Problem. Klar, Unkraut ist etwas anderes, aber das wäre so ein Zeitpunkt gewesen, zu dem man mit uns hätte sprechen können. Oder man macht abends mal die zehn Schritte bis zu unserer Haustüre und klingelt. Oder steckt uns einen Zettel in den Kasten mit der Bitte um eine Unterredung. Oder ruft man rüber, wenn man uns sieht. Denn man sieht uns! Blöde, faule Ausrede!

Der Gemahl und ich ärgerten uns nachhaltig. Das Thema wallte am ganzen Wochenende immer wieder auf, geprägt von der Enttäuschung, dass solche Kindereien an unserem eigentlich guten Nachbarschaftsverhältnis zu Herrn und Frau W. kratzen. Wir sind wütend über das unreife Verhalten der Frau Mutter und ich selbst bin auch besonders angefressen über die Rückgratlosigkeit Frau W.s, die meiner Vermutung nach aus Feigheit vor Konfrontation ihren Ärger im Stillen hegte und wachsen ließ und dann - unter dem Druck ihrer nervtötenden Mutter - schließlich geballt herausließ. Das Zeug wächst da nicht erst seit gestern.

In der Sache hätte sie mein volles Verständnis gehabt. Und im Gespräch hätte ich für Verständnis werben können (beispielsweise dafür, dass wir, da beide berufstätig, oft abends nicht noch in die Beete wollen, oder dafür, dass ich nicht mal kurzerhand meine Eltern ranpfeifen kann, wenn mir die Arbeit zu viel wird und dafür, dass bisweilen das Wetter einfach nicht stimmt). Man hätte Kompromisse finden und Prioritäten anders setzen können. Auch ich bin ja nicht überglücklich mit diesem Zustand.

Heute morgen fragte mich dann der Gatte, was ich wohl zu sagen gedächte, wenn Frau oder Herr W. auf mich zukämen, um darüber zu sprechen. Seiner Furcht vor einem schlechten Nachbarschaftsverhältnis war wohl geschuldet, dass er sehr heftig darauf reagierte, als ich sagte, möglicherweise würde ich ansprechen, dass uns bisweilen (elterliche) Hilfe für den Garten fehle. Da stand ich schlagartig da, als lege ich es darauf an, das Verhältnis zu den W.s zu verschlechtern. Stimmt, aus meinem Ärger über das unmögliche Verhalten der Sauertopf-Mutter würde ich keinen Hehl machen. Und rechtfertigen dafür, dass ich manchmal keine Energie zum Gärtnern habe und es deshalb bei uns so aussieht, würde ich mich auch nicht. Ich habe keine Lust, in die Defensive zu gehen und in diesen Belangen noch mein Inneres nach außen zu kehren. Der Gemahl hingegen hatte plötzlich Furcht darüber, was wohl die Leute denken würden. Und dass man uns ja oft genug drinnen sähe, wir also wohl kaum behaupten könnten, keine Zeit zu haben. Und überhaupt, andere Leute würden das ja trotz Berufstätigkeit auch hinbekommen.

Da saßen wir plötzlich mitten im schönsten Streit. Der Gatte weiß wohl, dass ich mich manchmal überfordert fühle, insbesondere dann, wenn die Aufgaben im Garten sich stauen und häufen. Ich habe ihm oft gesagt, dass ich seine Hilfe brauche. Ich mag aber nicht betteln, ich finde das erniedrigend. Ich weiß, er macht Gartenarbeit nicht gern. Ich bin nicht besonders scharf drauf, ihm zu diktieren, was er tun soll und dann den Garten mit ihm zu teilen, während er eine ausgesprochen grantige Miene aufsetzt und alles nur mit höchstem Widerwillen tut. Deswegen frage ich nicht, deswegen sieht es dann so aus. Darüber hinaus sind viele Sachen so offensichtlich, dass ich nicht verstehe, wieso man bitten muss. Unkraut in der Auffahrt. Der Müll, der sich auf dem Gehsteig vor der Hecke fängt. Löwenzahn auf der Terrasse.

Diskussionen, wer von uns mehr im Garten macht. Ich sehe mich dem Vorwurf ausgesetzt, ich täte ja nichts. Das sähe man auch am Zustand meines Kräuterbeets. Während der Gemahl regelmäßig den Rasen mähe, ohne Extra-Aufforderung. Ich mache also nichts! Ich schneide die Hecke, ich kärchere die Einfahrt, ich beschneide die Stauden im Herbst, kümmere mich um die Kübelpflanzen, reinige die Gartenmöbel, putze die Fenster zum Durchgang, ich streiche und malere, ich bin immer diejenige, die sich nach dem Unkraut bückt. Ich säe und jäte. Schneide die Rasenkanten. Ich war diejenige, die das Beet zum Nachbarn komplett umgewälzt hat, um dem Giersch Herr zu werden. Und das alles ohne Aufforderung! Ich mache ja nichts?

Mein Einwurf, wir könnten ja auch den gesamten Garten zubetonieren, wenn er das wolle, dann hätten wir keinerlei Arbeit mehr, der war zugegebenermaßen verdammt zynisch. Aber was soll ich noch tun? Weil ich mich manchmal nicht in der Lage sehe, Energie für all das aufzubringen, mein Maul halten, wenn die Nachbarn solche Zoten bringen? Weil ich diejenige bin, die sich mit Pflanzen und dem Garten am besten auskennt und weil ich das im Gegensatz zu ihm auch liebe, auf die Hilfe des Gemahls verzichten? Und dann noch Schuld daran sein, wenn "die Leute" "schlecht" über uns denken? Nein danke! Das Paket kann er gern selber tragen.

So hat es diese dämliche Vettel mit ihrem Unkrautbüschel so weit gebracht, dass wir uns streiten. Es widert mich an.

Nachtrag:

Die Gemüter haben sich wieder beruhigt, auch wenn uns das dieses Mal nicht leicht fiel. Wir haben viel gelernt über die wunden Punkte des anderen und über alte Verletzungen. Begeisterung für Gartenarbeit kann man wohl niemandem abringen, der dahingehend alte Lasten mit sich herumschleppt. Es nie gut genug gemacht zu haben als junger Mensch, beispielsweise. Ich kenne meinen Schwiegervater, mehr Erklärung brauche ich kaum, um meinen Mann besser zu verstehen.

Zudem sei zu seiner Ehrenrettung gesagt, dass er sich bereits gestern bereit erklärt hat, sich um unsere Gartenzaun-Baustelle zu kümmern und mir auch sonst behilflich zu sein.

Uns eint indes weiterhin die Enttäuschung und der Ärger über Nachbars. Allerdings wollten wir auf der Grundstückgrenze nach dort hin schon immer einen hohen Sichtschutz haben, da wir kaum draußen sitzen, weil unser Terrassenplatz von dort so exponiert und einsehbar liegt. Jetzt werden wir den Zaun ohne ein schlechtes Gewissen errichten und gleichgültig in Anbetracht dessen, dass das vielleicht bei den Nachbarn in den falschen Hals kommen könne. Es ist uns egal. Tja, und dann sieht man uns halt wirklich nicht mehr.

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