Sturmflut
Mittwoch, 22. August 2012
Eine "rechtmäßige Vergewaltigung"
Dieser "Lebensschützer"-Haufen war mir schon immer suspekt. Das Phänomen für ein amerikanisches Problem zu halten, ist ein schwerer Fehler. Auch hierzulande werfen Abtreibungsgegner, viele von ihnen religiöse Fundamentalisten, mit Parolen um sich, dass es schäumt. Die harmloseste, beinahe schon charitymäßig daherkommende ist vielleicht "Mein Bauch gehört dir!" des Projektes 1000plus/pro femina, das auf seiner Internet-Seite den Besucher mit Idyllfotos von süßen Babys und schwangeren Bäuchen bombardiert und somit natürlich garantiert wertfrei informiert. Die wohl haarsträubendste ist die vom "Babycaust", die Abtreibende (Ärzte, Helfer und die Frauen selbst) als Schlächter bezeichnet, die eine Blutspur hinter sich herziehen. Der implizite Vergleich mit dem Holocaust ist natürlich sehr bewusst gewählt, und die radikaleren unter den "Lebensschützern" scheuen auch nicht die Behauptung, Abtreibung sei noch weitaus schlimmer als sämtliche von Hitlers Untaten zusammengenommen. Dass es bei solchen Vergleichen zwangsläufig knallen muss, ist klar und von den "Lebensschützern" durchaus auch so gewollt.

Dem Sittenverfall und dem völligen Mangel an Werten, den die "Lebensschützer" Abtreibenden attestieren, wird das Modell einer heilen, glücklichen, konservativen Familien-Lebenswelt entgegengestellt. Wer sich nach diesem Modell (und somit stets moralisch einwandfrei) verhält, kommt natürlich gar nicht erst in ungemütliche Situationen. Wer keusch bleibt bis zur Ehe, der braucht nicht zu Verhütungsmitteln zu greifen, und schon gar nicht zum Mittel der Abtreibung. Wer Gottes Gebot, sich zu mehren, ernst nimmt, braucht auch in der Ehe desgleichen Teufelszeug nicht. Wenn die Frau sich ganz dem traditionellen Rollenbild unterordnet, dann kann ihr nichts passieren, das den Zorn der "Lebensschützer" auf sich zöge. Die Maxime lautet also: "Werde selig nach meiner Façon, oder du bist eine Verbrecherin!"

In diese aus dem Ei gepellte Sauberwelt passt dann manchem auch nicht, dass es Umstände gibt, in denen für eine Frau das Austragen eines Kindes unzumutbar ist. Todd Akin, seines Zeichens republikanischer Abgeordneter aus Missouri, schoss den Vogel in Sachen Abtreibungsgegnerschaft endgültig ab. Er behauptete: Wenn eine Vergewaltigung eine "rechtmäßige Vergewaltigung" (legitimate rape) sei, dann weigere sich der Körper der Frau ohnehin stressbedingt, schwanger zu werden - die Frau habe also sozusagen eine eingebaute Sicherung. Mal abgesehen davon, dass das hanebüchener Unsinn ist, strotzt diese Behauptung nur so vor finsterster, widerlichster Menschenverachtung. Denn damit schubladisiert Akin alle Frauen, die nach einer Vergewaltigung abtreiben möchten, als Nicht-Opfer, als Betrügerinnen, als leichte Mädchen, die vermutlich nur die eigenen Fehltritte verschleiern und deren Folgen rückgängig machen wollen. Wenn rückschrittliche Idioten Opfern erklären wollen, wann sie Opfer sind und wann nicht, dann ist das Realitätsbeugung erster Güte, eine erneute Vergewaltigung und damit obendrein eine riesengroße Schweinerei.

Das Idealbild der Frau ist in solchen Kreisen immer das einer ihr Leid tapfer ertragenden heiligen Madonna, die alles, wirklich alles auf sich nimmt, um das Leben zu bewahren. Mehr und mehr schwant mir, dass es gerade in radikal-religiösen, erzkonservativen Kreisen besonders um Ressourcenkontrolle in Sachen Fortpflanzung geht. Das bedeutet, man muss die Frauen kontrollieren. So ist natürlich den Vertretern solcher Strömungen jegliches von ihren kruden Heiligenidealen abweichende Denken, Handeln und Fühlen der Frauen unheimlich, ja bedrohlich. Mütterlichkeit wird propagiert, Treue, Aufopferung und Unterordnung. Es soll tatsächlich Frauen geben, die sich in dieser Rolle wohl und sich dadurch geadelt fühlen. Ob das tatsächlich eine freie Entscheidung ist, steht auf einem anderen Blatt und soll hier jetzt nicht breitgetreten werden.

Das Feindbild der Konservativen ist inzwischen der Feminismus, der den Frauen den Floh ins Ohr gesetzt hat, für sich selbst bestimmen zu wollen. Umschrieben wird die Lage dann mit überzeichneten, vollkommen romantisierten Begrifflichkeiten. "Der Mütterlichkeit entfremdet" sind sie, die Frauen, mehrheitlich fehlt ihnen die "Wärme und selbstlose Liebe" und sie leugnen ihre "natürliche Bestimmung". Solches Geschwafel erzeugt mir Brechreiz. Alle Frauen, die die "edle Aufgabe", nur für andere zu leben, ablehnen, sind demnach gefühlskalt, egoistisch und eigentlich keine richtigen Frauen. Diese Aufgabe geht dann sogar so weit, das eigene Wohlergehen trotz Vergewaltigung zugunsten eines Embryos zurückzustellen.

In der ganzen Abtreibungsdebatte wird der Verzweiflung der Frauen überhaupt nicht Rechnung getragen. Sie werden nicht als fühlende, atmende Menschen begriffen, sondern als Funktionsträger, die gefälligst der Aufrechterhaltung althergebrachter Verhältnisse dienen sollen. Mir fällt besonders auf, dass in den genannten Kreisen extrem viel verurteilt, verängstigt, eingeschüchtert, moralisiert, gedroht und unter Druck gesetzt wird - mit subtilen und weniger subtilen Mitteln. Mal ist eine abtreibende Frau eine, die all das Potential, das ein Kind in sich trägt, regelrecht das Klo herunterspült und damit künftige Künstler, Kanzler, Genies, Primaballerinas und Mütter(!) am Leben hindert. Ein anderes Mal wird sie schlicht als kaltblütige und gewissenlose Mörderin abgestempelt, als eine, die es sich bequem macht und nur an sich denkt. Im schlimmsten, aber leider nicht seltenen Fall werden die Abtreibungsgegner sogar massiv gewaltätig und führen damit überdies ihre eigenen Forderungen ad absurdum, die ja angeblich den Respekt vor der Unversehrtheit und dem Leben anderer zum Inhalt haben sollen.

Wann immer diese Diskussion auflebt, ist sicher auch jemand mit von der Partie, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der jemanden kennt, der immer wieder schwanger wird und Abtreibungen locker, flockig und entspannt vornimmt wie am Fließband. Mal davon abgesehen, dass ich das für so etwas wie eine urbane Legende halte, glaube ich ehrlich gesagt auch nicht, dass es sich die Mehrheit der Frauen so leicht macht mit Abtreibungen. Wer grundsätzlich Respekt für Menschen und ihre Gefühle aufbringt, zieht auch in Betracht, dass Scham und Schuldgefühle Menschen ebenso daran hindern, über eine Abtreibung zu reden wie die totale Verdrängung jeglichen Schmerzes, sei er nun seelischer oder körperlicher Natur. Das setzt aber eben voraus, dass man auch abtreibende Frauen als Menschen betrachtet, was den "Lebensschützern" insgesamt schwer zu fallen scheint.

Anstatt wirklich zu fragen, wie die Umstände für Frauen sein müssen, damit sie ihre Kinder trotz aller Widrigkeiten behalten, wird eine Schreckenskulisse aufgefahren, die vor Hass und Verachtung nur so sprüht. Die viel zu groß (zu alt) dimensionierten Plastik-Embryo-Puppen, die "Lebensschützer" immer wieder als Mittel verwenden, um das "Unrecht" zu verdeutlichen, sind nur ein Beispiel. Die "Lösungsvorschläge" der "Lebensschützer" orientieren sich nicht an der Lebensrealität der Frauen, sondern schlagen - moralinsauer und arrogant - immer wieder nur das eine, einzige, wirklich wahre und richtige Lebensmodell als Lösung vor. Das eigene. Sei keusch! Sei brav! Heirate und vermehre dich dann! Mach es, wie wir es sagen, nicht, wie du es willst!

Dagegen halte ich ein entwickeltes, starkes weibliches Selbstbewusstsein, das den Konservativen so ein Schreckensbild ist, für das einzige probate Mittel, um Abtreibungen wirklich vorzubeugen.

Den "Lebensschützern" geht es nicht wirklich um den Schutz von Leben. Es geht ihnen um die totale Kontrolle über den weiblichen Körper, über die Ressourcen der Frau und darum, sie für ihre Zwecke einzusetzen. Der Einsatz von Verhütungsmitteln und die gründliche Kenntnis über ihre Wirkweise beispielsweise wird nicht ausdrücklich befürwortet, oft aber sogar rundheraus abgelehnt, obwohl - nomen est omen - diese Mittel dazu taugen, ungewollte Schwangerschaften und damit auch Abtreibungen(!) zu verhüten. Sie haben aber den unangenehmen Nebeneffekt, dass sie der Frau die Angst nehmen, sie in ihrem sexuellen Handeln freier machen, dass sie althergebrachte Konventionen zerschlagen und Lust abgetrennt von Reproduktion ermöglichen. Ja, wo kommen wir denn hin, wenn die Frauen plötzlich tun, was sie wollen?

Akin fasst sich selbst als tapferer Widerstandskämpfer à la "Braveheart" auf, der seine Bastion bis zum letzten Blutstropfen verteidigt. Dabei verteidigt er nicht, er greift an. Errungenschaften, die 40 Jahre alt sind, werden wieder in Frage gestellt, und mit solchen Positionen erreicht er offenbar auch breite Bevölkerungsschichten. Obwohl Mitt Romney Akin für diese Aussage rügte und seinen Rücktritt von der Senatskandidatur fordert, habe ich doch nicht den geringsten Zweifel daran, wes Geistes Kinder die Republikaner eigentlich sind. In Deutschland haben die "Lebensschützer" und Abtreibungsgegner nicht ganz so viel politischen Einfluss, aber sie sind durchaus präsent. Problematisch dabei ist die Stigmatisierung ausgerechnet derjenigen Frauen, die sich ohnehin schon in einer Ausnahmelage befinden und seelisch wie körperlich viel zu verarbeiten haben, ganz gleich, ob sie abtreiben oder schwanger bleiben. Schleichend entsteht so eine Atmosphäre, die geprägt ist von Druck auf die Frauen, konservativen Rollenvorstellungen zu entsprechen. Medienwirksame Auftritte der "Lebensschützer" wie beispielsweise die "Gebetsprozession 1000 Kreuze für das Leben", die mit martialischen Symbolen den Schwangerschaftszwang propagiert, sind an widerlicher, moraltriefender Polemik kaum noch zu überbieten. Nicht umsonst heftet sich übrigens auch gern immer wieder die politische Rechte an die Fersen solcher Leute.

Wir bewegen uns zurück in Verhältnisse, in denen über die Frauen entschieden wird. Das degradiert sie zu Menschen zweiter Klasse. Das hatten wir schon mal und haben uns gerade erst mühsam da herausgestrampelt. Zudem ist das allzeit hochgehaltene Ziel "mehr Kinder" weitgehend unhinterfragt. Ohne das - so "wissen" wir ja schließlich alle - gehen unsere Renten den Bach runter, unsere Zukunft sieht düster aus, die Familie als "Keimzelle" der Gesellschaft löst sich auf, letztere verwildert und wirft ihre Werte über Bord und wir "überfremden" schließlich durch die Einwanderung von Menschen, die sich noch freiwillig zahlreich vermehren (das schlimmste Schreckgespenst von allen!). Was bleibt also, als die Frauen wieder zum Kinderkriegen zu zwingen?

Wie praktisch und bequem ist es doch, wenn man einfach den Frauen die Bürde der Verantwortung für den gesellschaftlichen Wandel aufdrücken kann. Dann braucht man sich den eigenen Defiziten nicht zu stellen. All der unverhüllte Hass und die Vehemenz, mit der Akin, "ProLife", die CDL und andere Konsorten in den Feldzug gegen die Abtreibung ziehen, sind ein Spiegel ihrer Verunsicherung und Angst angesichts der schwierigen Veränderungen und Herausforderungen der Gegenwart. Dass sie damit nicht anders umzugehen wissen, ist ein Zeichen ihrer Armseligkeit.

Permalink



... früher