Sturmflut
Weserbergland (4):
Fußschmerz und Strukturschwäche
Bad Karlshafen erwartete uns Ende Juni mehr oder weniger gottverlassen. Die wenigen Touristen, die durch das Städchen flanierten, gehörten unserer Elterngeneration an. Ab und an liefen uns ein paar Teenager in reichlich kurzen Röckchen in den kopfsteingepflasterten Straßen über den Weg - offensichtlich hatten sie so etwas wie eine Abschlussfeier, denn sie waren ziemlich aufgebrezelt und aufgedreht. Aber im Großen und Ganzen herrschte Stille.



Man sieht den Häuserfassaden ihren einstigen Glanz an. Die Architektur in Bad Karlshafen ist hübsch, ein weißes Haus reiht sich an das andere, und trotzdem blättert die Farbe, sind in Nebenstraßen Scheiben eingeschlagen, herrscht Leerstand bei Wohnungen und Geschäften.



Die architektonisch eigentlich schönen Sehenswürdigkeiten des Ortes, Rathaus und Invalidenhaus und das Hafenbecken, in dem sich die weißen Fassaden spiegeln, wirken - obwohl eigentlich wunderschön - leicht angegriffen und abgenutzt. Ein halb im Hafenbecken abgesoffenes Boot, das von einer Schar Enten bevölkert wird, unterstreicht den Eindruck.



Unsere Pension war hübsch, das Zimmer hatte die Qualitäten eines mehr als ordentlichen Hotels, das Bad war modern renoviert, alles war pieksauber, Geranien vor den Fenstern. Der Frühstücksraum war altbacken, aber liebevoll eingerichtet, mit Spitzengardinen und frischen Blumen auf den Tischen. Während wir unsere Frühstückseier pellten, beschlossen S. und ich, dass wir einen Pausentag in Bad Karlshafen einlegen würden, vorausgesetzt, unsere charmante Wirtin hätte das Zimmer nicht anderweitig vergeben.



Denn die vor uns liegende Strecke über Neuhaus nach Silberborn, wie wir sie ursprünglich für diesen Tag geplant hatten, beinhaltete ein nicht unerhebliches Maß an Steigung und hatte eine Länge von knapp über zwanzig Kilometer, und unsere Beine und Füße machten uns nachdrücklich klar, dass irgendwo der Spaß dann auch aufhört.



Die Unterkunftsfrage war schnell geregelt. Wir konnten noch eine weitere Nacht bleiben. Also loteten wir aus, was Bad Karlshafen zu bieten hat. Einen Besuch in der Therme strichen wir ziemlich zu Beginn aus unserem Ideenkatalog. Unsere blasigen, pflasterverklebten Füße wollten wir in einem öffentlichen Bad wirklich niemandem zumuten, und S. hatte keinen Badeanzug dabei. Sie hatte sich überlegt, vor Ort einen zu kaufen, aber selbst, wenn sie in Bad Karlshafen einen gefunden hätte, wäre das modisch wohl nicht so ganz ihre Altersklasse gewesen.



Mittags taten wir eine Bäckerei auf - wie es schien, die einzige direkt im Ort, ein "Stehcafé mit Sitzgelegenheit" - und besänftigten das Knurren der Mägen. Wir schlenderten ans Weserufer, schauten uns nach Gastronomie für das Abendessen um und beschlossen, später eine Partie Minigolf zu spielen.



Am gegenüberliegenden Ufer der Diemel, die bei Bad Karlshafen in die Weser mündet, klebt am Hang der "Hugenottenturm", und befreit vom Gepäck konnten wir uns mit dem Gedanken durchaus anfreunden, dort hinaufzusteigen.



Der Weg schlängelte sich hinter einer am Ort vorbeilaufenden Bundesstraße über eine Treppe und schließlich in Serpentinen durch den Buchenwald hinauf zum Turm. Auch hier herrschte weitestgehend Stille, nur wenige Spaziergänger kamen uns entgegen.



S. ist nicht so richtig schwindelfrei. Ihre Höhenangst verwehrte ihr im Verlauf der Tour noch manchen schönen Ausblick, so auch hier. Während ich die Wendeltreppe im Inneren des Turms hinaufstieg, blieb sie unten auf der kleinen Aussichtsplattform.


Der Blick über Bad Karlshafen vermittelte mir eine Ahnung davon, was wir am Tag zuvor eigentlich wirklich geleistet hatten. Der Höhenzug, über den wir gekommen waren, breitete sich in seiner ganzen Dimension vor mir aus. Gut, Hochgebirge geht anders, das hier ist davon ganz weit entfernt. Dennoch, ich verspürte einen Hauch von Stolz auf uns und unsere Leistung.



Auf der Minigolfanlage lag der Platzrekord bei 32 Schlägen, den eine Frau namens Birgit hielt, wie eine Tafel am Eingang verkündete. Die Wetterverhältnisse waren widrig. Die Betreiber der Anlage sahen von ihrem Sitzplatz unter einer Markise mit leichter Belustigung zu, wie S. und ich uns unseren Schnitt durch Aquaplaning auf den Bahnen versauten. Nicht, dass wir allzuviel Ehrgeiz gehabt hätten. Wir hatten einfach nur Spaß.

Später vertilgten wir im einzigen modern anmutenden Lokal des Ortes Nudeln mit Gorgonzola und Spinat, zum Dessert genehmigte ich mir einen alten Laphroaig, der die Schmerzen im Hintern, den Waden und den Füßen etwas ignorieren half. Dann schlichen wir zurück zur Pension, machten uns auf dem Bett lang und schauten Fußball auf dem Fernseher, der - ohnehin schon klein - am anderen Ende des Raums stand. Die Farben der Trikots waren kaum zu erkennen, aber wir kamen ohnehin ins Quatschen. Wer eigentlich spielte, und wer schließlich gewonnen hat, habe ich inzwischen bereits vergessen. Danach haben wir geschlafen wie die Steine.

Pläne für den nächsten Tag: Per Bahn bis nach Holzminden, von dort in den Solling über Schießhaus, Deensen bis nach Stadtoldendorf.