Mitten ins Gesicht
Am 13. Aug 2012 im Topic 'Deckschrubben'
Die allgegenwärtige mediale Dauerberieselung bringt zwangsläufig auch immer eine Menge Schund mit sich. Das ist der Grund, warum ich den Fernseher nur zum gezielten Anschauen öffentlich-rechtlicher Programme, Spielfilme und Serien von DVD oder Bluray nutze. Das minimiert immerhin den Einfluss von Werbung und Schwachsinn. Im Internet arbeitet für mich ein Adblocker, der dafür sorgt, dass ich nicht alle Naselang von irgendwelchen zappelnden Bildern angesprungen werde. Trotz dieser Maßnahmen passiert es aber sehr oft, dass ich doch eins in die Fresse kriege.
Seit April bin ich beispielsweise im Fitness-Studio angemeldet und besuche selbiges auch regelmäßig. Dort läuft auf mehreren Bildschirmen ein Programm mit Musikvideos. Während ich mich mittels Kopfhörer auf dem Crosstrainer gegen das unsägliche R'n'B-Gedudel (Bay-beeh, ohohoho, yeahahah, gotta love ya!) akustisch abschotten kann, ist das visuell leider nicht möglich. Ich habe die ganze Zeit zwei flimmernde Schirme im Blick. Mir springt der Sex regelrecht und unvermeidlich direkt ins Gesicht. Ich sehe Ärsche und Titten und rotgeschminkte Münder, die vor mir auf und ab tanzen, als führten sie ein Eigenleben. Frauen ausschnittweise. Die Röckchen verdienen nicht einmal mehr die Bezeichnung "Gürtel", man kann den Damen fast bis ins Innere ihrer Reproduktionsorgane gucken, prall gefüllte Dekolletés überlassen nichts der Phantasie. Da marschieren, stöckeln, tanzen, wackeln und schütteln sie, unbeirrbar und instinktfreundlich auf dem Silbertablett serviert. Jeden Montag und jeden Donnerstag dasselbe.
Ähnlich ist es mit der Werbung auf der Startseite unseres Blogger-Dorfes. Wo mir hier zuhause mein Rechner derartiges erspart und einen blogger.de-grünen Balken zeigt, kriege ich im Büro Werbung für Klamotten zu sehen (was mich nicht weiter stresst, weil ich meinen Konsum ganz gut kontrollieren kann) oder Werbung für Singles. Die ist offensichtlich ausgelegt auf ein bestimmtes Beuteschema. Auf sämtlichen Bildern sind die Brüste der präsentierten Damen so dermaßen groß, dass man schon bei dem Anblick zu ersticken glaubt. Gesichter treten, nicht zuletzt durch geschickten Aufnahme-Blickwinkel, in den Hintergrund. Ganz ähnlich verhält es sich auf meinem Mailportal, bei dem immer wieder dieselbe in ein tief ausgeschnittenes hellblaues T-Shirt gekleidete Blondine für eine Single-Börse wirbt, lasziv dahingestreckt und mit Rehaugenblick von schräg unten.
Ich will nicht missverstanden werden: Erstens mache ich mir nicht die geringsten Illusionen über die Zielgruppe, die hier angesprochen werden soll und weiß, dass ich definitiv nicht dazu gehöre. Zweitens habe ich nichts gegen den Anblick schöner Frauen. Ich bin eine Ästhetin und schaue gern hübsche Körper an, männliche wie weibliche. Was mich ankotzt ist, dass sich alles nur noch auf den reinen Sex reduziert. Dass das einem so dermaßen um die Ohren gehauen wird, als sei man ein sabberndes Viech, das auf nichts anderes mehr anspricht. Hintern. Schnitt. Brüste. Schnitt. Mund mit lippenleckender Zunge. Schnitt. Brüste. Schnitt. Close up von Brüsten. Schnitt. Wackelnde Brüste. Schnitt. Close up vom Hintern. Schnitt. Bamm! Bamm! Bamm!!
Was für die Darstellerinnen dabei herausspringt, lasse ich jetzt einmal beiseite - sie werden ihren Nutzen davon haben, in solchen Musikvideos und Kampagnen mitzuwirken, und sei er auch nur monetär. Mich bringt die Fragmentierung der dargestellten Frauen aus der Fassung. Eine Aneinanderreihung von isoliert und möglichst detailliert dargestellten Einzelteilen weiblicher Körper, in Szene gesetzt wie appetitlich angerichtete Speisen für ein Kochbuch. Es ist nicht einmal Pornografie. Die wäre ja zumindest noch zielführend. Es ist einfach nur Marketing. Und Frauenteile sind die Ware. Verkauft wird die Illusion vom perfekten Objekt, von der immer verfügbaren, optimalen Frau.
Neulich brachte das Zeit-Magazin eine Betrachtung zu männlicher Nacktheit und deren Unterrepräsentation in den Medien. Stimmt, abgesehen von einzelnen Beckhams oder Ronaldos, die mal hier und da ein Höschen bewerben und dafür den Körper sehen lassen, ist es nicht weit her mit nackten Männern. Es könnte ja auch was wegzugucken geben. Oder zu bewerten. Wie lang isser? Wie stark isser? Nackt sein macht halt auch verletzlich. Das vermeidet man(n) doch dann lieber. Statt dessen gibt man sich cool und unantastbar, erfolgreich und uniformiert.
Blöd nur, dass Frauen das Verletzlichsein, die Verfügbarkeit und Fremdbewertung tragen wie eine zweite Haut. In einer Talkshow hörte ich neulich, eine Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, Frauen hätten auf andere Frauen genau diesen Blick in Einzelteilen. Auch sie nähmen einander wahr als Komposition von Augen, Lippen, Brüsten und Pobacken. Männer hingegen würden als ganze Menschen gesehen, ihnen werde zuerst ins Gesicht geschaut. Ein Fazit zu dieser Beobachtung wurde nicht kundgetan. Meine persönliche Vermutung ist, dass Frauen sich in diesem Fall dazu verleiten lassen, in die Konkurrenz zu gehen, und zu vergleichen beginnen. Sind ihre Körbchen größer als meine? Ihre Taille schlanker, ihre Lippen voller? Derartiges Konkurrieren entspringt nichts anderem als einer ausgeprägten Gefallsucht auf einer ziemlich niederen Ebene. Auf das der Blick des anderen mich durch Begehren adeln werde. Ein solches Gebaren ist eines selbstbewussten Menschen unwürdig.
So wird alle Körperlichkeit sexuell. Aber wenngleich es uns nicht ohne unser Geschlecht gibt, sind wir doch nicht nur Geschlechtsmerkmale, wir sind nicht nur Funktion und Rolle. Wir sind Menschen. Die fühlen, zittern, frieren, atmen, nach sich selbst duften, asymmetrisch gebaut sind, denen sich die Haare sträuben, denen die Füße kribbeln, die kotzen und weinen und sich am Küchenmesser schneiden, denen Pickel wachsen und Bartstoppeln, die Narben tragen und Brillen auf der Nase.
Gegen ein bisschen mehr Nacktheit der Männer wäre nichts einzuwenden, aber auch nichts gegen etwas mehr Angezogenheit der Frauen. Die Furcht davor, dann unsichtbar zu werden, ist bei Frauen offenbar genau so ausgeprägt wie bei Männern die Furcht, sichtbar zu werden. Nicht bei allen natürlich. Es gibt Menschen beiderlei Geschlechts, die total schmerz- und schambefreit sind, was die Präsentation des eigenen Körpers betrifft - möglicherweise, weil sie nicht oder nicht mehr am Marktgeschehen um Verfügung und Verfügbarkeit teilnehmen. Ich glaube aber, der größere Teil der Menschen ist im Umgang mit sich verkrampft und scheitert verzweifelt an den Kriterien, wie die Ware beschaffen zu sein hat. Es reicht nicht, zu sein, wer man ist, man muss einen hohen Wert zum Markt tragen. Es kommt zur Normierung und Übertreibung sexuell relevanter Attribute, hier wird ein bisschen gekürzt, da ein bisschen aufgeblasen. Das Credo so zugerichteter Frauen lautet: "Kauf mich!" Das Credo der Männer in diesem Spiel lautet: "Ich kann mir dich leisten!"
Ich kenne persönlich wenige Menschen, die auf den ersten Blick in dieses Schema passen, und doch glaube ich, dass wir alle ein Stück weit unbewusst von dieser Warenlogik beherrscht werden. Sie entmenschlicht uns und hindert uns daran, uns gegenseitig in unserer Ganzheit wahrzunehmen. Wenn's nicht gefällt, wird es umgetauscht. Wo sind die freien Geister der Menschen, die Tiefen, die Originalität und Kreativität, wo ist das Selbst? Wir sind so viel mehr. Wir sind auch sexuell. Aber wir sind mehr als Püppies in Regalen und geifernde Tiere.
Seit April bin ich beispielsweise im Fitness-Studio angemeldet und besuche selbiges auch regelmäßig. Dort läuft auf mehreren Bildschirmen ein Programm mit Musikvideos. Während ich mich mittels Kopfhörer auf dem Crosstrainer gegen das unsägliche R'n'B-Gedudel (Bay-beeh, ohohoho, yeahahah, gotta love ya!) akustisch abschotten kann, ist das visuell leider nicht möglich. Ich habe die ganze Zeit zwei flimmernde Schirme im Blick. Mir springt der Sex regelrecht und unvermeidlich direkt ins Gesicht. Ich sehe Ärsche und Titten und rotgeschminkte Münder, die vor mir auf und ab tanzen, als führten sie ein Eigenleben. Frauen ausschnittweise. Die Röckchen verdienen nicht einmal mehr die Bezeichnung "Gürtel", man kann den Damen fast bis ins Innere ihrer Reproduktionsorgane gucken, prall gefüllte Dekolletés überlassen nichts der Phantasie. Da marschieren, stöckeln, tanzen, wackeln und schütteln sie, unbeirrbar und instinktfreundlich auf dem Silbertablett serviert. Jeden Montag und jeden Donnerstag dasselbe.
Ähnlich ist es mit der Werbung auf der Startseite unseres Blogger-Dorfes. Wo mir hier zuhause mein Rechner derartiges erspart und einen blogger.de-grünen Balken zeigt, kriege ich im Büro Werbung für Klamotten zu sehen (was mich nicht weiter stresst, weil ich meinen Konsum ganz gut kontrollieren kann) oder Werbung für Singles. Die ist offensichtlich ausgelegt auf ein bestimmtes Beuteschema. Auf sämtlichen Bildern sind die Brüste der präsentierten Damen so dermaßen groß, dass man schon bei dem Anblick zu ersticken glaubt. Gesichter treten, nicht zuletzt durch geschickten Aufnahme-Blickwinkel, in den Hintergrund. Ganz ähnlich verhält es sich auf meinem Mailportal, bei dem immer wieder dieselbe in ein tief ausgeschnittenes hellblaues T-Shirt gekleidete Blondine für eine Single-Börse wirbt, lasziv dahingestreckt und mit Rehaugenblick von schräg unten.
Ich will nicht missverstanden werden: Erstens mache ich mir nicht die geringsten Illusionen über die Zielgruppe, die hier angesprochen werden soll und weiß, dass ich definitiv nicht dazu gehöre. Zweitens habe ich nichts gegen den Anblick schöner Frauen. Ich bin eine Ästhetin und schaue gern hübsche Körper an, männliche wie weibliche. Was mich ankotzt ist, dass sich alles nur noch auf den reinen Sex reduziert. Dass das einem so dermaßen um die Ohren gehauen wird, als sei man ein sabberndes Viech, das auf nichts anderes mehr anspricht. Hintern. Schnitt. Brüste. Schnitt. Mund mit lippenleckender Zunge. Schnitt. Brüste. Schnitt. Close up von Brüsten. Schnitt. Wackelnde Brüste. Schnitt. Close up vom Hintern. Schnitt. Bamm! Bamm! Bamm!!
Was für die Darstellerinnen dabei herausspringt, lasse ich jetzt einmal beiseite - sie werden ihren Nutzen davon haben, in solchen Musikvideos und Kampagnen mitzuwirken, und sei er auch nur monetär. Mich bringt die Fragmentierung der dargestellten Frauen aus der Fassung. Eine Aneinanderreihung von isoliert und möglichst detailliert dargestellten Einzelteilen weiblicher Körper, in Szene gesetzt wie appetitlich angerichtete Speisen für ein Kochbuch. Es ist nicht einmal Pornografie. Die wäre ja zumindest noch zielführend. Es ist einfach nur Marketing. Und Frauenteile sind die Ware. Verkauft wird die Illusion vom perfekten Objekt, von der immer verfügbaren, optimalen Frau.
Neulich brachte das Zeit-Magazin eine Betrachtung zu männlicher Nacktheit und deren Unterrepräsentation in den Medien. Stimmt, abgesehen von einzelnen Beckhams oder Ronaldos, die mal hier und da ein Höschen bewerben und dafür den Körper sehen lassen, ist es nicht weit her mit nackten Männern. Es könnte ja auch was wegzugucken geben. Oder zu bewerten. Wie lang isser? Wie stark isser? Nackt sein macht halt auch verletzlich. Das vermeidet man(n) doch dann lieber. Statt dessen gibt man sich cool und unantastbar, erfolgreich und uniformiert.
Blöd nur, dass Frauen das Verletzlichsein, die Verfügbarkeit und Fremdbewertung tragen wie eine zweite Haut. In einer Talkshow hörte ich neulich, eine Studie sei zu dem Ergebnis gekommen, Frauen hätten auf andere Frauen genau diesen Blick in Einzelteilen. Auch sie nähmen einander wahr als Komposition von Augen, Lippen, Brüsten und Pobacken. Männer hingegen würden als ganze Menschen gesehen, ihnen werde zuerst ins Gesicht geschaut. Ein Fazit zu dieser Beobachtung wurde nicht kundgetan. Meine persönliche Vermutung ist, dass Frauen sich in diesem Fall dazu verleiten lassen, in die Konkurrenz zu gehen, und zu vergleichen beginnen. Sind ihre Körbchen größer als meine? Ihre Taille schlanker, ihre Lippen voller? Derartiges Konkurrieren entspringt nichts anderem als einer ausgeprägten Gefallsucht auf einer ziemlich niederen Ebene. Auf das der Blick des anderen mich durch Begehren adeln werde. Ein solches Gebaren ist eines selbstbewussten Menschen unwürdig.
So wird alle Körperlichkeit sexuell. Aber wenngleich es uns nicht ohne unser Geschlecht gibt, sind wir doch nicht nur Geschlechtsmerkmale, wir sind nicht nur Funktion und Rolle. Wir sind Menschen. Die fühlen, zittern, frieren, atmen, nach sich selbst duften, asymmetrisch gebaut sind, denen sich die Haare sträuben, denen die Füße kribbeln, die kotzen und weinen und sich am Küchenmesser schneiden, denen Pickel wachsen und Bartstoppeln, die Narben tragen und Brillen auf der Nase.
Gegen ein bisschen mehr Nacktheit der Männer wäre nichts einzuwenden, aber auch nichts gegen etwas mehr Angezogenheit der Frauen. Die Furcht davor, dann unsichtbar zu werden, ist bei Frauen offenbar genau so ausgeprägt wie bei Männern die Furcht, sichtbar zu werden. Nicht bei allen natürlich. Es gibt Menschen beiderlei Geschlechts, die total schmerz- und schambefreit sind, was die Präsentation des eigenen Körpers betrifft - möglicherweise, weil sie nicht oder nicht mehr am Marktgeschehen um Verfügung und Verfügbarkeit teilnehmen. Ich glaube aber, der größere Teil der Menschen ist im Umgang mit sich verkrampft und scheitert verzweifelt an den Kriterien, wie die Ware beschaffen zu sein hat. Es reicht nicht, zu sein, wer man ist, man muss einen hohen Wert zum Markt tragen. Es kommt zur Normierung und Übertreibung sexuell relevanter Attribute, hier wird ein bisschen gekürzt, da ein bisschen aufgeblasen. Das Credo so zugerichteter Frauen lautet: "Kauf mich!" Das Credo der Männer in diesem Spiel lautet: "Ich kann mir dich leisten!"
Ich kenne persönlich wenige Menschen, die auf den ersten Blick in dieses Schema passen, und doch glaube ich, dass wir alle ein Stück weit unbewusst von dieser Warenlogik beherrscht werden. Sie entmenschlicht uns und hindert uns daran, uns gegenseitig in unserer Ganzheit wahrzunehmen. Wenn's nicht gefällt, wird es umgetauscht. Wo sind die freien Geister der Menschen, die Tiefen, die Originalität und Kreativität, wo ist das Selbst? Wir sind so viel mehr. Wir sind auch sexuell. Aber wir sind mehr als Püppies in Regalen und geifernde Tiere.